Gedanken zur WM-Trikot-Typografie

trikotvorschlag
Der dekorative Aspekt definiert die Beschriftungen der aktuellen Fußball-Trikots von Adidas, Nike und Puma, keine typografischer. Ziffern und Buchstaben pendeln ästhetisch zwischen Bauhaus und Geodreieck. Keiner der drei Hersteller scheint ernsthaft einen Schriftentwerfer zu Rate zu ziehen: das Tangram-Alphabet von Puma/Dalton-Maag werte ich als das Ergebnis eines Knebelbriefings.
Lesbarkeit wird bei einer Trikotbeschriftung nicht wirklich gefordert, denn die Freunde des Rasensports (er)kennen (die Muster) ihre(r) Idole am Bewegungsstil oder an der Haartracht. Sollte jedoch bei den Fußball-Fans ein ernsthaftes Interesse am Austausch mit interessierten Laien bestehen, dann können sie den Status-quo der Trikot-Typografie nicht gut heißen.
Trotz 30.000 professioneller Schriften auf dem Markt wird es darunter garantiert keine typografisch-perfekte Trikotschrift geben: sicher jede Menge Besseres, doch das Ideale bedarf einer maßgeschneiderten Schrift. Schließlich sind die Anforderungen sehr speziell:
• Bogensatz (wegen Platzausnutzung)
• Lesbarkeit in der Bewegung
• große Namenslängen-Unterschiede
• TV-Tauglichkeit
• passende Großziffern
• Fremdsprachen-Zeichenvorrat
Bestimmt haben Schiedsrichter und das Stadion-Publikum andere Lesbarkeits-Kriterien, als die TV-Zuschauer. Letztere jedoch sind die wichtigere Zielgruppe, nicht nur durch ihrer Größe, sondern wegen ihres kommerziellen Beitrags (Übertragungsrechte). Und so sollte eine Trikot-Typografie grundsätzlich TV-tauglich sein (Moiré-Verursacher wie die »Zahnspachtel-Schrift« Pump Triline sind es garantiert nicht).
Die beiden wichtigsten Perspektiven im Fernsehen sind die Halbtotale und die Nahaufnahme. Bei der Halbtotalen sollten mindestens die Ziffern auf den Trikots lesbar sein, bei der Nahaufnahme schließlich die Namen der Spieler.
Ziffern müssen auch in der Bewegung lesbar bleiben. Die aktuellen holländischen Trikot-Zahlen tun das nicht, wie dieses Foto vom gestrigen Spiel zeigt: André Ooijers 13 wird zur 8, weil die 1 schlicht aus einem senkrechten Strich besteht und in Kombination mit der linear konstruierten 3 eine 8 entsteht; andere Ziffern-Kombinationen geben Rätsel auf.
Der oben abgebildete Versuch ist eine Annäherung, gesetzt aus den Schriften FF Strada Text Bold und FF Strada Bold Condensed (Mascherano), sowie FF Sanuk Medium für die Ziffern. Ich habe diese beiden Schriften genommen, weil sie gerade auf meinem Rechner geladen waren. Trotzdem übertreffen sie in puncto Lesbarkeit alles, was zur Zeit in den WM-Stadien herumläuft.
Noch mal: Die ideale Schrift für ein Fußball-Trikot muss eigens entworfen werden ... und folgende Randbedingungen erfüllen:
• den Bogensatz optisch ausgleichen
• unverwechselbare Zeichen (bewegungsrestistent)
• divergierende Namenslängen durch eine dezente Condensed, eventuell in Kombination mit einer Extended vermitteln
• harmonische Tabellen-Großziffern enthalten (oder angedeutete Mediävalziffern, wie im obigen Beispiel)
• die Akzente der Sprachen aller Fußball-Nationen mitbringen, sowie griechische und kyrillische Zeichen
Nach zwei Wochen langen Studien der WM-2006-Trikots und der dort aufgedruckten Namen glaube ich, dass die Lesbarkeit von über 90 % aller (kurzen) Namen durch wenige sehr lange Familiennamen leidet. Damit letztere aufs Hemd passen, greifen Trikot-Designer zu extrem leichten und engen Schriften, mit denen dann Namen wie Kaká und Pernambucano über einen Kamm geschoren werden. Das ist gleichermaßen unsinnig wie unnötig. Entweder löst man dieses Problem durch Condensed-, Regular- und Extended-Schnitte, oder man trennt die elend langen Namen (siehe oben) ... zum Wohle der Kleinen.
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