Die Angst des Schrägstrichs beim Elfmeter

Gastkommentar zu den Trikot-Ziffern der Fußball-WM 2006
von Sander Neijnens

Premiere im Fontblog. Der holländische Designer Sander Neijnens beschäftigt sich seit 2002 mit der Beschriftung von Fußball-Trikots. Auf seine Seite Letterbeeld.nl zeigt er mit vielen Beispielen, dass es auf diesem Gebiet eine Menge aufzuholen gibt. Doch wer macht den Anfang? Die große Resonanz auf die beiden Fontblog-Beiträge »Frisch, from, frei, unfertig: die Puma-Schrift« und »Rote Karte für die WM-Trikot-Ziffern« haben Sander und mich dazu veranlasst, am Ball zu bleiben.

Schrift-Liebhaber, die sich für Fußball und die WM in Deutschland begeistern, haben vier harte Wochen zu überstehen. Die Zahlen auf den Spielerhemden zeugen von schlechtem Geschmack und typografischer Unkenntnis. Dabei stammen sie von Unternehmen, die gerne betonen, etwas von Design zu verstehen: Puma, Nike und Adidas. Doch ihre Typografie ist mehr als enttäuschend. Die Puma-Ziffern und -Spielernamen (im Einsatz bei Italien, der Schweiz und Ghana) wurden von Dalton-Maag entworfen.
Ich mag die Buchstaben (siehe hier): sie sind kräftig und haben Charakter. Mir gefällt auch, dass man Kleinbuchstaben für die Namen verwendet statt druchgehend Versalien. Doch die Ziffern sind banal: Wieder diese aus Rechtecken konstruierten Zeichen mit abgerundeten Ecken. Dann auch noch kursiv, was meiner Ansicht nach auf Trikots überhaupt nicht funktioniert: Ein Torwart mit der 1 auf dem Rücken wir unmittelbar zum »Mister Schrägstrich«.
Noch schlimmer die Adidas-Zahlen, zum Beispiel bei Frankreich, Spanien und Argentinien: abgeschlafft, wie mit Zahncreme aufgetragen. Jede Ecke sind abgerundet, so dass die 5 aussieht wie die Bremsspur eines schleudernden PKWs. Die 1 wirkt wie ein verwelkter Blumenstengel, der gerade Blüte und Blätter verloren hat. Die Namen der Spieler sind in einer zusammen gequetschten ITC Bauhaus gesetzt, eine typografische Kardinalsünde – leicht am Computer herzustellen –, Schriftfreunde blutet das Herz.
Alle zwei Jahre kommt Nike mit neuen Trikot-Schriften und -Ziffern heraus. Dabei stellen sie regelmäßig unter Beweis, dass sie keinen blassen Schimmer von Typografie haben. Zur WM 2006 übertreffen sie sich wieder mal. Nike hat nicht nur einen Satz Ziffern aufgelegt, sondern eine ganzes Sortiment. Der Gedanke dahinter: die Formen sollen die Kultur der Mannschaft widerspiegeln, die sie tragen.
niederlande






Vonwegen holländische Tradition:
Wie man dieser Versuchsanordnung
unseres Kommentators
Sander Neijnens entnehmen kann,
entstanden die Oranje-Trikotziffern
keinesfalls mit Hilfe eines der
zahlreichen lebenden Schriftentwerfer
des Landes, sondern sie wurden –
vielleicht von einem Malermeister –
mit Klebeband konstruiert.

Wenn ich mir die brasilianischen ansehe, weiß ich, dass ihr Entwerfer garantiert keinen Samba-Rhythmus im Blut hat. Die Zahlen sind lesbar, aber fade. Wie bei den Portugiesen. Hier haben die 6 und die 9 Innenräume wie Tränen ... sicher eine Anspielung auf die melancholische Fado-Musiktradition. Die 7 (Figo) muss während eines langweiligen Meetings entstanden sein: durch Verbiegen einer Büroklammer.
Die schlechtesten aller Nummern haben die Holländer gezogen. Als die neuen Shirts vorgestellt wurden, erzählte Nike, dass die Zahlen inspiriert seien von holländischen Briefmarken, holländischer Architektur und holländischen Hausnummern. Welch ein Unsinn. Die Ziffern wurden mit Stift und Lineal auf einem quadratischen Blatt Papier konstruiert ... inspiriert vom Erscheinungsbild (holländischen) Klebebands oder (holländischen) Klopapiers. Das Ergebnis entbehrt jeder Idee, ist schwer lesbar, einfach nur Müll.
Ich fordere den Schöpfer dieser Ziffern auf, »Dutch Type« zu lesen, das ausgezeichnete Buch von Jan Middendorp über die glanzvolle typografische Tradition unseres Landes. Danach wird er zugeben müssen, das er jämmerlich gescheitert ist und sich bei Marco van Basten entschuldigen.
Abschließend ein Blick auf die Hemden von Südkorea, Made by Nike. Ihre Ziffern sehen den holländischen verdammt ähnlich. Das macht mich neugierig auf die koreanische Kultur. Ich bin sicher, sie züchten Tulpen und tragen Holzschuhe.
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