Die Angst des Schrägstrichs beim Elfmeter
von Sander Neijnens
Premiere im Fontblog. Der holländische Designer Sander Neijnens beschäftigt sich seit 2002 mit der Beschriftung von Fußball-Trikots. Auf seine Seite Letterbeeld.nl zeigt er mit vielen Beispielen, dass es auf diesem Gebiet eine Menge aufzuholen gibt. Doch wer macht den Anfang? Die große Resonanz auf die beiden Fontblog-Beiträge »Frisch, from, frei, unfertig: die Puma-Schrift« und »Rote Karte für die WM-Trikot-Ziffern« haben Sander und mich dazu veranlasst, am Ball zu bleiben.
Schrift-Liebhaber, die sich für Fußball und die WM in Deutschland begeistern, haben vier harte Wochen zu überstehen. Die Zahlen auf den Spielerhemden zeugen von schlechtem Geschmack und typografischer Unkenntnis. Dabei stammen sie von Unternehmen, die gerne betonen, etwas von Design zu verstehen: Puma, Nike und Adidas. Doch ihre Typografie ist mehr als enttäuschend. Die Puma-Ziffern und -Spielernamen (im Einsatz bei Italien, der Schweiz und Ghana) wurden von Dalton-Maag entworfen.
Ich mag die Buchstaben (siehe hier): sie sind kräftig und haben Charakter. Mir gefällt auch, dass man Kleinbuchstaben für die Namen verwendet statt druchgehend Versalien. Doch die Ziffern sind banal: Wieder diese aus Rechtecken konstruierten Zeichen mit abgerundeten Ecken. Dann auch noch kursiv, was meiner Ansicht nach auf Trikots überhaupt nicht funktioniert: Ein Torwart mit der 1 auf dem Rücken wir unmittelbar zum »Mister Schrägstrich«.
Noch schlimmer die Adidas-Zahlen, zum Beispiel bei Frankreich, Spanien und Argentinien: abgeschlafft, wie mit Zahncreme aufgetragen. Jede Ecke sind abgerundet, so dass die 5 aussieht wie die Bremsspur eines schleudernden PKWs. Die 1 wirkt wie ein verwelkter Blumenstengel, der gerade Blüte und Blätter verloren hat. Die Namen der Spieler sind in einer zusammen gequetschten ITC Bauhaus gesetzt, eine typografische Kardinalsünde – leicht am Computer herzustellen –, Schriftfreunde blutet das Herz.
Alle zwei Jahre kommt Nike mit neuen Trikot-Schriften und -Ziffern heraus. Dabei stellen sie regelmäßig unter Beweis, dass sie keinen blassen Schimmer von Typografie haben. Zur WM 2006 übertreffen sie sich wieder mal. Nike hat nicht nur einen Satz Ziffern aufgelegt, sondern eine ganzes Sortiment. Der Gedanke dahinter: die Formen sollen die Kultur der Mannschaft widerspiegeln, die sie tragen.
Vonwegen holländische
Tradition:
Wie man dieser Versuchsanordnung
unseres Kommentators
Sander Neijnens entnehmen kann,
entstanden die Oranje-Trikotziffern
keinesfalls mit Hilfe eines der
zahlreichen lebenden Schriftentwerfer
des Landes, sondern sie wurden –
vielleicht von einem Malermeister –
mit Klebeband konstruiert.
Wenn ich mir die
brasilianischen ansehe, weiß ich, dass ihr Entwerfer
garantiert keinen Samba-Rhythmus im Blut hat. Die
Zahlen sind lesbar, aber fade. Wie bei den
Portugiesen. Hier haben die 6 und die 9 Innenräume
wie Tränen ... sicher eine Anspielung auf die
melancholische Fado-Musiktradition. Die 7 (Figo) muss
während eines langweiligen Meetings entstanden sein:
durch Verbiegen einer Büroklammer.
Die schlechtesten aller Nummern haben die
Holländer gezogen. Als die neuen Shirts
vorgestellt wurden, erzählte Nike, dass die Zahlen
inspiriert seien von holländischen
Briefmarken, holländischer Architektur und
holländischen Hausnummern. Welch ein Unsinn.
Die Ziffern wurden mit Stift und Lineal auf einem
quadratischen Blatt Papier konstruiert ... inspiriert
vom Erscheinungsbild (holländischen) Klebebands oder
(holländischen) Klopapiers. Das Ergebnis entbehrt
jeder Idee, ist schwer lesbar, einfach nur Müll.
Ich fordere den Schöpfer dieser Ziffern auf, »Dutch
Type« zu lesen, das ausgezeichnete Buch von Jan
Middendorp über die glanzvolle typografische
Tradition unseres Landes. Danach wird er zugeben
müssen, das er jämmerlich gescheitert ist und sich
bei Marco van Basten entschuldigen.
Abschließend ein Blick auf die Hemden von Südkorea,
Made by Nike. Ihre Ziffern sehen den holländischen
verdammt ähnlich. Das macht mich neugierig auf die
koreanische Kultur. Ich bin sicher, sie züchten
Tulpen und tragen Holzschuhe.