»... das ist Typo-Sex, was Du hier machst.«
23. März 2006, 12:56 Uhr | Reportage
Judith Schalansky signiert im FontShop ihr soeben erschienenes Buch »Fraktur mon Amour«
Ein Gespräch mit der Designerin und Autorin Judith Schalansky
Fontblog: Was war der Auslöser für Ihre Liebe zur Frakturschrift?
Judith Schalansky: Ich habe mich schon immer für Dinge interessiert, die ambivalent sind. Für ein historisches Kochbuch suchte ich mal Frakturschriften im Netz. Schon nach kurzer Zeit stieß auf ein reichhaltiges, abwechslungsreiches Angebot, das oft in einer Art Parallelwelt erblühte. Da draußen gibt es jede Menge leidenschaftlicher Sammler, die historische Schriftmuster digitalisieren, um sie der Nachwelt zu erhalten. Bald hatte ich eine reichhaltige Kollektion zusammen.
F: Nach welchen Kriterien haben Sie die 300 Schriften ausgewählt?
JS: Ich habe zunächst mal die unvermeidlichen Klassiker aufgenommen, danach die Exoten. Die schlecht gemachten flogen dann wieder raus: Entweder waren sie unsauber digitalisiert, oder es waren Zeichen falsch interpretiert. Das breite Spektrum war mir am Ende sehr wichtig.
F: Wie haben sie bei dieser Menge die Übersicht behalten?
JS: Ganz konventionell mit einem Zettelkasten. Danach machte ich mir eine Excel-Tabelle mit allen technischen Daten für die historische Recherche.
F: Ihre Klassifizierung geht über die rein-historischen Stile hinaus.
Um diesen Kunden haben wir gekämpft: Herr Frech, dies ist die persönliche Widmung in Ihrem Buch, das heute ohne Versandkosten an Sie rausgeht
JS: Das habe ich mit dem Verleger Bertram Schmidt-Friderichs zusammen entwickelt. Neben den klassischen Gruppen mussten wir auch die Außenseiter zusammenfassen, die wir in Modern und Contemporary aufteilten. Gerade die Schriften aus den 1930er Jahren wiesen interessante Ansätze bzw. Widersprüche auf. Die Idee der Kostruktion führte einerseits zu den sogenannten Nazi-Schriften aber eben auch zu solchen kühnen, neumodischen Entwürfen wie American Text oder Gothika/Leather.
F: Die Renaissance der Fraktur scheint unvermeidlich ...
JS: Die Entwicklung ist deshalb so spannend, weil die Schriften von gänzlich divergierende Gruppen und für die unterschiedlichsten Haltungen eingesetzt werden: von heimatverbunden bis jugendlich abgrenzend, als beispielsweise für Tatoos.
F: Warum funktioniert das mit diesen Schriften?
JS: Fraktur ist keine Verkehrsschrift mehr, so dass man sie leicht mit Phantasien beladen kann. Die Assoziationen können harmlos patriotisch sein oder ewig gestrig, aber auch folkloristisch bis hin zu brutal. Für viele war Fraktur auch mit einem Tabu belegt, und das machte sie natürlich interessant für die Jugendkultur. Auch das Unlesbare der Schrift macht sie reizvoll: Unbedarfte Anwender setzen die Fraktur sogar komplett in Versalien, was diesen Schriften überhaupt nicht gut bekommt.
Signierstunde von 14:00 bis 15:00: Judith Schalansky und FontShop-Geschäftsführer Holger Fehsenfeld
F: Die Fraktur als Sammelbecken für Emotionen ...
JS: Ganz richtig. Den gebrochenen Schriften wird ja auch eine gewisse Schwere, ja Trägheit unterstellt. Ihr bildhaftes Wesen reduziert sie manchmal auf das pure Ornament. Daran bleibt oft etwas hängen: Sehnsüchte, Haltungen. Bei den nach Neutralität strebenden Groteskschriften bleiben keine Emotionen hängen. Dies alles ist wohl auch der Grund dafür, dass diese Nazi-Geschichte so lang an den gebrochenen Schriften verbunden wurde.
F: Wenn Sie Ihr Buch jetzt so in den Händen halten: Ist es so geworden, wie sie wollten?
JS: Ich hatte ja einen Dummy gebaut, etwas kleiner, orientiert am evangelischen Gesangbuch. Ich hatte mir da ein Flexcover vorgestellt. Das ging dann aber bei der aktuellen Größe nicht mehr und wegen der beiliegenden CD.
Wichtig waren mir die beiden Lesarten des Buchs, und das ist wunderbar gelungen: auf der einen Seite konservativ, Mittelachse, historisch ... dann der Bruch mit der Farbe und dem schwärmerischen Titel.
Als ich das fertige Buch jetzt in den Händen hielt, war ich zunächst etwas erschrocken, weil es auch ein Art Fetisch-Buch ist. Ich war erstaunt, dass es so heftig wurde. Jemand sagte zu mir: Das ist auch etwas Typo-Sex, was Du hier machst. Da hat er nicht unrecht.
F: Wie weit geht ihr erotisches Verhältnis, Ihre Liebe zur Fraktur?
JS: Liebe ist immer eine gute Art etwas unvoreingenommen zu betrachten. Liebe sorgt auch dafür, das man eine Sache neu sehen kann. Und das haben diese Schriften wirklich verdient. Der Zugang zu ihnen soll soll über das Herz funktionieren.
F: Vielen Dank für das Gespräch.
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