Nokia schickt Spiekermann-Schrift in Rente [Update]

Wie das offi­zi­elle Nokia-Firmenblog am Wochenende verkün­dete, feilt der finni­sche Handy-Hersteller zur Zeit an einem neuen Markenauftritt. Erstes Opfer ist die 2002 einge­führte exklu­sive Hausschrift, entworfen von Erik Spiekermann (zuvor war Rotis im Einsatz). Mehr über die dama­lige Einführung der Schriftfamilie auf noki​a​port​.de.

Die neue Schrift Nokia Pure wurde von Dalton-Maag entwi­ckelt. Bereits am vergan­genen Freitag sorgte die Begründung für die neue Schrift für Diskussionsstoff in den Netzen. Wörtlich heißt es in der Fallstudie Nokia im Detail: »Nokias bestehende Schriftfamilie domi­nierte deren visu­elle Identität durch ihre starke Persönlichkeit. Deshalb war es schwierig die Schrift im Branding breit einzu­setzen, obwohl durch die enge Laufweite eine gute Zeichenzahl pro Linie erreicht werden konnte, und der hohe Kontrast eine Konvertierung zu Pixel in älteren Geräten verein­fachte. Zudem war man auch der Meinung, dass die Schrift altmo­disch wirkt und sie dem Design-Ethos nicht mehr entspricht.«

Der Studie ist weiterhin zu entnehmen, dass die neue Schriftfamilie tradi­tio­nell finni­sches Design reflek­tieren solle: Einfachheit, Klarheit, Funktionalität und Formschönheit … daher auch der Name Pure.

Spiekermanns Kommentare zu dem Schriftwechsel am Freitag auf Twitter: »Nokia’s exis­ting font family was domi­na­ting its visual iden­tity with its strong perso­na­lity«: other brands would kill for type like this!

Die »alte« Nokia-Schrift in einer Print-Anzeige aus dem Jahr 2009

[Update:] Da vielen Fontblog-Lesern die gesamte Nokia-Schriftfamilie von Erik Spiekermann unbe­kannt sein dürfte, habe ich mir noch mal ein PDF-Dokument besorgt, aus dem das Konzept ausführ­lich hervorgeht.

Es handelt sich um eine frühe, 8-seitige Präsentation aus dem Jahr 2001, erstellt mit einer Vorabversion, noch ohne Hinting und mit fehlenden Zeichen. Kommentare des Entwerfers im PDF weisen auf diese Mängel hin.


28 Kommentare

  1. Thomas

    Hm, ganz ehrlich: Die „alte“ Schrift gefiel mir nie wirk­lich. Ich empfand sie schon immer als merk­würdig altba­cken. Leider ist die neue Schrift aber auch nicht besser, weil völlig belanglos und austauschbar.

  2. R::bert

    Ist die denn schon 67?

    Nokia will wohl optisch mehr zu den »Großen« wie Microsoft, Apple, Adobe & Co. gehören? Sozusagen Uniformierung à la bonne heure. Warum nicht gleich die Verdana. Da muss man nicht mal mehr Webfonts einsetzen. 

    Gesichtlose Technikwelt. Wahrscheinlich auch ohne brauch­bare Personality. Vielleicht wird damit ja die Realität auch etwas deut­li­cher. Jedenfalls für uns.

  3. Paul S.

    Schließe mich meinem Vorschreiber an: Ich mochte die alte Schrift auch nie über­mäßig (irgendwie rotis-ähnlich), aber sie war solide und man konnte sie wieder­erkennen. Die neue hingegen finde ich seicht, einfallslos, beliebig.

  4. R::bert

    »Nokia’s exis­ting font family was domi­na­ting its visual iden­tity with its strong perso­na­lity«: other brands would kill for type like this!

    Erik soll sie einfach einem anderen Unternehmen verkaufen! Hihi. Wär’ doch irgendwie cool ; )

    Vielleicht Google, oder Samsung?

    Bin gespannt, ob sie auch an Ihrer Wortmarke schnitzen. So bekomme das ganze formal jeden­falls nicht mehr richtig zusammen. Muss viel­leicht auch nicht …

  5. martin

    nokia gehört doch schon fast micro­soft … viel­leicht kriegen sie dann eh bald deren type aufgesetzt.

    alte schrift hat klar mehr charakter, da gehe ich mit herrn spie­ker­mann d’accord.

  6. seb

    nokia geht mit der zeit. ganz einfach. also was soll die aufregung?

  7. Phil

    R::bert: Ich vermute, dass Spiekermann Nokia ein exklu­sives Nutzungsrecht einge­räumt hat. ;)

  8. Yanone

    Ich erin­nere mich an eine nächt­liche, sehr betrun­kene Fahrradfahrt durch Berlin während meines Praktikums. Als ich an irgend­einem unbe­ach­teten, daher­ge­klebten Veranstaltungsplakat vorbei­fuhr, traf mich im Nacken dieses schau­rige, komi­sche, unbe­schreib­liche Gefühl, nahe Dejavú, gerade irgendwo etwas Bekanntes gesehen zu haben. Ich bin umge­dreht, und hab mir das Plakat nochmal ange­schaut. Und tatsäch­lich: Eine von Nokia gespon­serte Kulturveranstaltung, irgendein Festival, in der alten Nokia-Schrift. Da wurde mir klar, wie groß die Schrift tatsäch­lich ist, und warum andere Unternehmen dafür töten würden.

  9. Interessierter Laie

    Die alte ist von Spiekermann? Mir hat sie trotzdem nicht gefallen. Erinnert zu sehr an Trebuchet (oder eine andere alte Windows-Systemschrift) bzw. an Rotis. So sehr ich Spiekermanns Schriften mag – Nokias Neue ist besser!

  10. Schwalbenkoenig

    DaltonMaag sagt mehr zur Entwicklung.
    Via Typophile

  11. Schwalbenkoenig

    Hoppla, sorry, hab das Update nicht gelesen. Die DaltonMaag-Info steht ja schon im Text. Sorry.

  12. Seb

    Persönlichkeit hatte die »Alte«. Ohne Zweifel. Sie war unver­kennbar. Aber zum Produkt passte sie nach meinem Empfinden nie. Technik, die sich einem schnellen Wandel unter­wirft, sollte zeit­loser daherkommen.

  13. Da Stefan

    @Yanone: wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir Typophilen mit Auge und einem ausge­prägten Gedächtnis für Schrift wirk­lich in der Minderheit sind. Ottonormalauge sieht das nicht und nimmt es auch wirk­lich sehr, sehr selten war.

  14. Vroni

    @ Da Stefan
    „Ottonormalauge sieht das nicht und nimmt es auch wirk­lich sehr, sehr selten war.“

    Bewusst mit dem Fachauge und analy­sie­rend nimmt er das nicht wahr, richtig.
    Er kann nichts über Punzen oder Binnenräume und Grauwirkung sagen.

    Unbewusst oder intuitiv nimmt er aber schon subtil als Gesamtbild wahr, kann’s halt nicht begründen oder reflektieren.

    Sonst könnte man sich die Mühe der Corporate Schriften für einen emotional
    gelun­genen Markenauftritt für Endverbraucher komplett sparen und nur noch rational für Gadgets und der tech­ni­schen Lesbarkeit auf ihnen opti­mieren. Was vermut­lich anvi­siert ist, wenn ich mir NOKIA PURE so anschaue. Ein abschlie­ßendes Urteil über ihre Wirkung kann man sich wohl erst erlauben, wenn man die PURE in ihrer Anwendung auf Anzeigen oder Plakaten sieht.

  15. Yanone

    Ottonormalauge sieht das nicht und nimmt es auch wirk­lich sehr, sehr selten war. 

    Halte ich massiv dagegen.
    Jeder Mensch ist in der Lage, die korrekte Marke nur anhand der Hausschrift von Mercedes, Ikea (jetzt nicht mehr), Nivea, Sparkasse, Allianz, Coca Cola und eben auch Nokia (jetzt nicht mehr) etc. in Kombination mit der rich­tigen Farbe zu benennen.

  16. CB

    Nokia spricht ausführ­lich über seine Hausschrift: Typografie wird gezielt als Marketinginstrument genutzt: finde ich obergut.
    Die Entscheidung von einer einzig­ar­tigen, gelernten und eindeu­tigen Schrift hin zu einer nur für Profis unter­scheid­bare us-ameri­ka­ni­sche Benton-Cousine kann ich aller­dings nicht nach­voll­ziehen. Alles Nordische ist getilgt, alles Pixel-opti­mierte ebenso. Mal sehen, ob Nokia damit eine eigene Identität aufbauen kann.

  17. erik spiekermann

    Kennen sie diese Marke? ist die Formulierung und Darstellung, die ich zu diesem Thema seit Jahren verwende. Eine eigen­stän­dige Schrift und eine Farbe reichen eben um eine Marke zu kenn­zeichnen. Bei der Bahn haben wir das inzwi­schen auch geschafft, obwohl auch die Sparkasse und Vodafone rot sind. Aber die DB Type ist eigen­ständig genug um sich zu behaupten. Die Marlboro Schrift kennt selbst jeder Nichtraucher und könnte sie auch einfach kaufen: Neo Contact. Trotz mangelnder Exklusivität hat der exten­sive Einsatz die Schrift zum Markenmal gemacht.

  18. R::bert

    Das Thema »Kennen Sie diese Marke?« ist das Eine. 

    »Zudem war man auch der Meinung, dass die Schrift altmo­disch wirkt und sie dem Design-Ethos nicht mehr entspricht.«

    Im Hinblick auf dieses Argument von Nokia wäre es doch viel span­nender zu disku­tieren, wie mit dem Werte-Wandel oder Veränderungsprozess eines Unternehmens im Corporate Design umzu­gehen ist. Abdullah Rayan spricht in seinen Buch »Corporate Design – Kosten und Nutzen« immer von einem Design-Prozess, da sich auch das Unternehmen in einer fort­wäh­renden Weiterentwicklung befindet. Das CD ist auf längere Sicht also nicht unbe­dingt etwas Statisches. Demzufolge ist eine Modifizierung der CD-Type logisch und viel­leicht auch zwin­gend. Im IT-Sektor jeden­falls nachvollziehbar. 

    Daher stellt sich mir tatsäch­lich die Frage: Erik, wären die Kunden mit dieser Aufgabenstellung zu Dir gekommen, was hättest Du empfohlen? Würde die Nokia Sans tatsäch­lich nicht mehr zum Unternehmen passen, was würden wir vorschlagen. Eine schritt­weise Modifizierung hin zu einer anderen Formensprache? Zu einen abso­luten Bruch und neuer, aber Identität stif­tenden Type? Aufgrund der Markenidentität der Nokia Sans würde ich die vorsich­tige Modifizierung wählen. Wie bei einem Markenzeichen selbst. Aber ist so etwas über­haupt denkbar und möglich?

  19. erik spiekermann

    Aufgrund der Markenidentität der Nokia Sans würde ich die vorsich­tige Modifizierung wählen.

    Hätte ich wohl genauso empfohlen. 2001 musste ich ja noch Bitmap-Fonts einzeln pixeln. Die Idee, darauf basie­rend eine rich­tige Outline-Schrift zu machen, kam von mir, nicht von Nokia. Offensichtlich haben sie seitdem nie verstanden, wie wichtig eine deut­liche Schrift für die Marke ist. Selbstverständlich muss diese sich den tech­ni­schen Gegebenheiten anpassen und auch den Zeitströmungen. Aber gerade das kann Schrift ja, in den rich­tigen Händen.

  20. R::bert

    Ja, schade, dass der Erfolg der Nokia Sans nicht mehr Vertrauen des Kunden zu seinen Machern bewirkt hat. Selbst, wenn Ihnen Deine »Handschrift« nicht mehr passend erschien, hätte man dennoch die Methode der Modifizierung wählen können. So vergeben sie sich, wie Ikea damals, eine Menge an aufge­bautem Markenbewusstsein. Aber wahr­schein­lich ist ihnen das selbst nicht mal bewusst. Dennoch würde ich diesen Schritt, zumin­dest den Mitarbeiteren gegen­über, schon fast als verant­wor­tungslos bewerten. Schließlich war ja mit dem Markenaufbau über die Schrift auch eine gewisse Investition verbunden, die man jetzt ohne Weiteres in den Wind schreibt.

  21. Jamie-Oliver

    Ich hätts auch gut gefunden wenn man die alte Schrift vorsichtig modi­fi­ziert hätte. Aber ich denke Nokia möchte nicht nur mit ihren Produkten NEU wahr­ge­nommen sondern eben auf ganzer Linie. Sodass man sagt: Was,das ist Nokia? Interessant.

    Warum auch nicht. Ein Wandel hat die Firma sicher nötig.

  22. ber

    @ Erik#20
    „Aber gerade das kann Schrift ja, in den rich­tigen Händen.“

    Waren die Kollegen von Dalton Maag etwa die falschen Hände?

  23. R::bert

    Mit wem soll ich mich jetzt streiten?

    Erik, jetzt kannste ; )

  24. Sascha Geisler

    Ich erin­nere mich daran, wie damals (um Himmels, willen: »damals«, ich bin erst 30!) die Nokia Sans zum ersten mal in Anzeigen und auf Handy-Verpackungen in meinem Bewusstsein erschien. Ich steckte gerade im Abi und hatte zwar irgendwie schon Feingefühl für Gestaltung, aber annä­hernd null Fachwissen. Das ist rück­bli­ckend für mich bis heute die perfek­teste Hausschrift, mit der jemals ein Unternehmen aufge­treten ist. Ich hatte seit 1999 immer Nokia-Telefone. Durch SMS und die Menüs hat sich deren Formprinzip so in meinen Schädel gebrannt, dass mich das Erscheinungsbild der Nokia Sans in der gedruckten Welt wie ein Blitz traf. Ohne damals zu wissen, wie Schriften entstehen, habe ich mir ganz instinktiv gedacht: »Wow, die haben sich eine eigene Schrift machen lassen, die dem Design ihrer Telefon-Displays entspricht. Wie clever!«
    Ich weiß nun nicht, ob beides parallel entworfen wurde oder ob Erik Spiekermann die Nokia Sans auf Basis der Nokia-Handydisplay-Schriften aufge­baut hat. Ich weiß nur, dass mir damals das erste Mal ein Licht aufge­gangen ist, wie passend eine Schrift eine Markenidentität wider­spie­geln kann. Seitdem habe ich dies­be­züg­lich bei keiner Marke jemals wieder so einen Aha-Moment erlebt.

    Aber Markenidentitäten ändern sich. Und spätes­tens seit 2007 hat sich durch die Einführung des iPhone die komplette Branche verän­dert. Fast alle Handys haben nun große Displays, deren Auflösung inzwi­schen so hoch ist, dass sogar Fonts mit huma­nis­ti­schem Formprinzip darauf gut aussehen. Und das hat auch Nokia verän­dert. Da wirkt eine auf einer Pixelfont basie­rende Hausschrift einfach altba­cken – und das kann sich vor allem Nokia in Ihrer Identität nicht leisten. Schließlich haben sie in Apple in einen Taktgeber in der Branche, mit dem sie irgendwie mithalten müssen. Und Schrift ist da ein ziem­lich gutes Mittel, denn gegen die Helvetica in Apples iOS wirkt jede huma­nis­ti­sche Schrift moderner.

    Dass die neue Nokia Pure aber weder beson­ders indi­vi­duell, modern oder der Heilige Gral der Lesbarkeit ist, ist leider die Kehrseite der Medaille. Hier hätte Nokia die Chance gehabt, sich wirk­lich gekonnt zu plat­zieren – und die haben sie in meinen Augen vergeigt.

  25. Till

    A) Die Nokia Sans ist sowas von 90er,
    und
    B) @ R::bert: Abdullah Rayan ist eine Wurst.

  26. erik spiekermann

    ob Erik Spiekermann die Nokia Sans auf Basis der Nokia-Handydisplay-Schriften aufge­baut hat

    Ja, so war es. Aber es gibt viele Versionen der Nokia Sans und Serif (siehe Nokia sans character), auch solche, die viel weiter weg sind von dem einfa­chen Prinzip der Bitmaps: 2 Pixel senk­recht, 1 Pixel waage­recht. Die hätte man behutsam anpassen können an neue tech­ni­sche und ästhe­ti­sche Anforderungen und dabei nicht die ganze Identität verlieren müssen.

  27. R::bert

    @ Till
    Keine Ahnung. Was er schreibt, ist zumin­dest nicht alles für den Fleisch- äh Reisswolf.

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