Nichtlesen (18.2.): Data Wars
anz schön was los dieser Tage in der Weltgeschichte, meinen Sie nicht auch? Allerdings. Aber was Ereignisreichtum anbetrifft, sollte man die Zukunft mal nicht unterschätzen. Da passiert nämlich auch so einiges. Wir haben einen kleinen Ausflug in die nahe Zukunft unternommen und die Ereignisse chronologisch für Sie aufbereitet.
Januar 2012. Anfang des Jahres zählt Facebook weltweit über 1,3 Milliarden Mitglieder. Im Herbst des Vorjahres war das Unternehmen an die Börse gegangen. Der Wert von Facebook wird jetzt auf $180 Mrd. taxiert. Erst kürzlich kaufte das Unternehmen Google; und zwar aus der Portokasse.
Facebook ist im Begriff, nicht nur zum Synonym für das Internet zu werden, sondern das Internet selbst zu ersetzen. Kinder wachsen längst im Glauben auf, dass man eine E-Mail-Adresse nur für die einmalige Registrierung bei Facebook braucht und danach nie wieder, weil eine Kommunikation außerhalb des Facebook-Kosmos zwar möglich, aber sinnlos ist.
Mit der Größe wächst die Macht, aber auch der Unmut der Nutzer. Denn der amerikanische Gigant bleibt seinem inzwischen nicht mehr nur für Europäer befremdlichen Umgang mit seinen Mitgliedern treu. Es geht längst nicht mehr ums reine Sammeln und Auswerten von Daten. Im Vordergrund steht immer mehr das Kanalisieren des Nutzerverhaltens. Dafür entwickelt man einen zunehmend offensiven Umgang. Bereits im letzten Herbst 2011 tauchten die ersten Aggro-Popups auf den Profil- und Startseiten auf. Hier ein Beispiel:
»Hey Nutzer, kürzlich hatten wir Dir vorgeschlagen, Dich mit Nutzerin Y zu befreunden. Warum hast Du nicht reagiert? :-( Ihr passt doch so gut zueinander, laut unserer Analyse. Na was soll’s wir drücken noch mal ein Auge zu. Du hast jetzt 3 Minuten Zeit, Dir die Sache noch mal genau zu überlegen. Wenn Du Dich für die Freundschaft entscheidest, kannst Du dieses Fenster schließen und weiter Facebook nutzen. Wenn nicht, musst Du Dich bitte gedulden. Eine Option zum vorzeitigen Schließen haben wir eigens entfernt, damit Du auch wirklich ausreichend Zeit zum Nachdenken hast.«
Der Killer-Tweet. Aber am 18. Januar 2012 ereignet sich dann etwas anscheinend völlig Belangloses auf Twitter; dem letzten relevanten und noch eigenständigen Player im Netz. Ein Nutzer schreibt folgenden, witzig gemeinten Tweet:
Dieser Text scheint zunächst im Twitter-Getümmel unterzugehen, bis sich wenig später seine immense Sprengkraft herumspricht: Sascha Lobo retweetet diesen Tweet. Wenige Tage später avanciert dieser kleine Witz zur bis dahin meistbeachteten Twittermeldung aller Zeiten (12.725 Retweets inkl. Übersetzungen in 14 Sprachen).
Februar 2012 – Widerstand. In Deutschland zählt Facebook rund 55 Mio. Mitglieder. Das Unternehmen steigert nicht nur die Zahlen, sondern auch sein drastisches Verhalten gegenüber den Mitgliedern. Zum Beispiel sehe ich gerade, dass ich am 22. Februar 2012 folgende E-Mail von Facebook erhalten werde: »Na Du kleiner Nutzer, jetzt pass mal gut auf: Du warst seit über drei Stunden nicht mehr auf Deiner Profil-Seite, geschweige denn, dass Du etwas gepostet oder geliket hättest. So läuft das nicht, Sportsfreund. Denk mal darüber nach.«
Zu dieser Zeit regt sich der Widerstand. Die ersten Offline-Mitglieder-Gruppen treffen sich in verschiedenen deutschen Städten in Real-Life-Locations wie Kellerclubs oder in privaten Wohnzimmern. Man organisiert die Bewegung und schmiedet ein scharfes Schwert gegen Facebook.
Das Prinzip dieser Waffe ist simpel: Der Erfolg von Facebook basiert auf den gesammelten Nutzerdaten und der daraus ableitbaren, zielgerichteten Werbung. Dieses Erfolgsrezept von Facebook wird sich jetzt als Achillesferse erweisen, auf die der organisierte Widerstand zielt.
1. März 2012. In Deutschland findet der erste »Fake-Data-Day« statt. Hunderttausende Facebook-Mitglieder haben sich via Direct-Message-Ketten bei Twitter abgestimmt, um an diesem Tag geschlossen in die Irre führende Statusmeldungen, falsche Profil-Angaben und fiktive Events bei Facebook einzustellen. Beispielsweise melden sich noch am selben Tag 13.417 Teilnehmer für dieses Fake-Event an.
März 2012. Der erste Fake-Data-Day hat Facebook nicht ernsthaft schaden können. Aber das Unternehmen ist hellhörig geworden. Und der Widerstand wächst. Da das Fälschen der eigenen Daten simpel ist und die ganze Angelegenheit sogar noch Laune macht, wird aus dem einmaligen Event schnell ein anhaltender Breitensport. Über Twitter verbreiten sich zum Beispiel Codierungen, die Facebook unbrauchbaren Datensalat bescheren. Wer »gehe Bier trinken« meint, schreibt ab jetzt zum Beispiel »bin in Vernissage« usw.
April 2012 – Es wird ernst. Werbekunden verzeichnen die ersten, von der Daten-Fake-Bewegung erzeugten Einbrüche. Die Werbewirkung der auf Facebook geschalteten Anzeigen nimmt spürbar ab. Allein der Kunde Tupperware ist gar nicht amüsiert, dass seine letzte Facebook-Kampagne mit begleitender Promotion in der Berliner Waldbühne komplett an der Zielgruppe vorbeigesegelt ist, die gar nicht anwesend und auch online überhaupt nicht bannerklickwillig war.
Mai 2012 – Eskalation. Leider kann ich Ihnen jetzt nichts genaues mehr sagen, da die Leistungsfähigkeit meiner Kristallkugel (für 3,99 € bei Rudis Reste-Rampe erworben) etwas limitiert ist. Was wir ab nun sehen, ist sehr verschwommen. Ich kann mich also täuschen, es scheint sich aber ungefähr folgendes zu ereignen:
Facebook wird aggressiv. Das Unternehmen räumt mittels einer eher weniger freundlichen Übernahme Twitter aus dem Weg, bzw. inhaliert es mal eben im Vorbeiklicken. Damit ist der letzte unabhängige Internet-Player beseitigt.
Der Widerstand kann sich jetzt nur noch im Real-Life organisieren. Im eigenen Facebook-Web greift die CIA als eine Art Daten-Geheimpolizei ein, die die neuerdings in den AGB verzeichnete Pflicht zur wahrheitsgemäßen Dateneingabe überwacht. Unwahrheitsgemäße Postings werden mit drastischen Geldstrafen geahndet. Immer mehr Facebook-Nutzer verzichten ganz darauf und treffen sich lieber abends beim Bier. Hier werden aber bald Facebook-Agenten vorstellig, die die Nutzer zum Posten zwingen, denn laut aktualisierter AGB gelten auch unterlassene Postings bald als Zuwiderhandlung gegen die Unternehmens-Regularien … und wenn ich das richtig sehe, eskaliert die ganze Nummer dann vollends:
Der Konflikt weitet sich vom ursprünglichen Mitglieder-Widerstand zur internationalen Krise zwischen den Großmächten China und USA aus. Facebook ist neben dem Miliär längst das wichtigste Instrument der Vereinigten Staaten im Rahmen der globalen Politik und das letzte Feld, auf dem die USA noch einen spürbaren Vorsprung verbuchen können.
Gen Ende des Jahres 2012 knallt’s final: Der 1. Daten-Weltkrieg bricht aus, der im Internet entflammt und sich dann zum verheerenden realen Flächenbrand ausweitet, den Roland Emmerich gerne verfilmen würde, wenn es noch ausreichend Publikum gäbe, das ihm einen Blockbuster bescheren könnte.
Aber wie gesagt, ist meine Kristallkugel ein Billig-Produkt mit unklarer Herkunft. Gut möglich also, dass das gute Stück komplett daneben liegt mit der Vorhersage. (Trotzdem habe ich mir die Film- und Buchrechte an dieser Story vorsorglich gesichert.)
11 Kommentare
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<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
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Caroline Werner
Großes Kino. Fake Data Day 2012: Bin dabei und habs kurzerhand vorverlegt.
http://www.facebook.com/event.php?eid=112754388803252
Nichtleser
Die Vertretung wird deutlich spürbar. Kristallkugel! Das hätte Ihnen Grabowski ohne mit der Wimper zu zucken an fünf Fingern abzählen können. Die 3,99 € hätte man sinnvoller investieren müssen. Zum Beispiel in die ausverkauften Atomkraft-Nein-Danke-Sticker. Hoffen wir also, dass sich unser depressiv verstimmtes Agenturgenie schnell wieder fängt. Wir brauchen ihn noch. Facebook will schließlich erst mal bezwungen sein. Außerdem braucht es dringend eine Kampagne um Tupper vorm Untergang zu bewahren. Heiße Ware ist gefragt.
Also Grabowski: Miese Peter war gestern – Superstar ist heute. Adde Dich mal wieder zu den Lebenden! Das Casting hat gerade erst begonnen.
Bukowski
Den Killer-Tweet hätten wir dann auch vorgezogen: >http://favstar.fm/users/mbukowski/status/51279964015828993
Bukowski
@ Caroline Werner Bin dabei!
Bukowski
@ nichtleser Tut mir leid, aber der Grabowski ist wirklich nicht ansprechbar … murmelte etwas von „erst bei Season 2“ und „krieg das verdammte Level 17 nicht gebacken“ … Wenn sich das bessert, werde ich vorsichtig mal das Thema Tupperware anregen. Beim Stichwort „Kampagne“ reagiert er eigentlich immer und zwar ungefähr wie Katzen bei Brekkies …
Nichtleser
Mal mit Vortäuschung Stromausfall probiert? In diesen Tagen dürfte es ja nicht schwer fallen, eine plausible Erklärung dafür zu finden. Nur falls er sich dann komplett vergessen sollte … .
Sehen Sie, man braucht nur die richtigen Stichworte fallen lassen und der Dampfer wird wieder flott. Sie müssen jetzt ganz stark sein. In spätestens zwei Monaten wird er es Ihnen danken!
Cheers
die effizienz von facebook-werbung geht jetzt schon richtung nullpunkt. die frage ist eher, welche fake-meldungen muss man wie massiv verbreiten, um den glauben an werbung auf facebook ueberhaupt am leben zu erhalten.
Kurt
@ Cheers
Ich bin ja grundsätzlich der Meinung, dass, was alle tun, nicht wirkt, was alle lernen, keinen Vorteil bringt … Ich behaupte: Entwicklung ist das Gegenteil! – So kommt sehr oft nicht nur Hochmut vor dem Fall, sondern auch Größe.
@ Bukowski
Bewundernswerter Text!
Roland
ich fotografiere privat ein paar Amateurtheatergruppen, die natürlich alle Homepage und Facebook haben. So ca. die Hälfte der Schauspieler will seine Fotos nicht auf Facebook sehen … die Gruppenhomepage wird dagegen als okay angesehen.
Eine langsame Wende?
R::bert
… mal vom Glitzerflummi aus’m Aldi abgesehen – der Text »gefällt mir« – macht er doch wie letzte Woche humorvoll und doch mit dem nötigen Ernst den Wahnsinn deutlich, der sich momentan »da draußen« abspielt. (Vielleicht sollten wir Grabowski auch einfach nicht weiter stören ; )
@ Jürgen
Hast wohl etwa meine TV-Tipps weitergeleitet?
: )
Ambitionierter Freitzeitaktivist
Wie war das noch mit AOL? Es soll User gegeben haben die dachten, dass es die einzige Möglichkeit ist ins Internet zu kommen. Gleicher Grundgedanke, falscher Zeitpunkt. :)) Gibt es eigentlich noch AOL-Nutzer?