Neu: FF Netto, von Daniel Utz
»In gewisser Weise ist die Arbeit eines Kritikers leicht. Wir riskieren wenig, aber genießen dabei unsere Macht über jene, die sich und ihre Werke unserem Urteil stellen. Wir ziehen Gewinn aus negativen Kritiken – sie machen Spaß, beim Schreiben wie beim Lesen.
Dennoch müssen wir Kritiker der bitteren Wahrheit ins Auge sehen, dass selbst durchschnittliches Werk im Grunde genommen bedeutsamer ist als unsere Kritik. Manchmal aber riskiert ein Kritiker wirklich etwas, und zwar bei der Entdeckung und Verteidigung des Neuen.
Gestern Abend habe ich etwas Neues erlebt: ein außergewöhnliches Gericht aus völlig unerwarteter Quelle. Es ist eine krasse Untertreibung, wenn ich sage, dass die Mahlzeit und ihr Macher meine Vorurteile infrage stellten.
Sie haben mich in meinem tiefsten Inneren erschüttert. Ich habe nie ein Geheimnis aus meiner Abneigung gegen das berühmte Motto des Küchenchefs Gusteau gemacht: ›Jeder kann kochen.‹ Aber erst jetzt verstehe ich wirklich, was er meinte. Nicht jeder kann ein großer Künstler werden, aber ein großer Künstler kann von überall herkommen.«
Der Text stammt aus dem Pixar-Film Ratatouille. Ein gefürchteter Restaurant-Kritiker namens Anton Ego glaubt, in seinem 40-jährigen Berufsleben alles schon mal köstlicher gegessen zu haben. Kurz: die Pariser Gastronomie ödet ihn an. Dann überrascht ihn der stümperhafte Koch Linguini im Restaurant »Gusteau« mit dem einfachen Bauerngericht Ratatouille. Ego ist begeistert und schreibt des nachts die oben zitierten Zeilen. Anschließend geht er in den verdienten Ruhestand und genießt endlich das Leben … und die leckeren Gerichte seiner Heimatstadt.
Ich weiß nicht, warum mir die Schlüsselszene aus »Ratatouille« einfiel, als ich heute Abend mit der neuen Schrift FF Netto von Daniel Utz herumspielte. Vielleicht, weil ich schon so viele Schriften gesehen habe. Vielleicht, weil FF Netto so einfach erscheint wie ein Bauerngericht – und doch so raffiniert zubereitet ist. Oder sie macht mich einfach nur sprachlos, den sie spricht für sich selbst – mit Buchstaben und Piktogrammen. Im übrigen sagt das oben rechts abgebildete FF-Netto-PDF vom Entwerfer selbst sowieso alles. (In Rente gehe ich deswegen nicht)
30 Kommentare
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_Sven
im Shop steht: Entwerfer: Daniel Utz ?? Aber – „ganz schön viele coole Icons“
Jürgen
Danke für den Hinweis, Sven: Du hast mich vor einer peinlichen Kritikerpanne bewahrt.
Alice
Ich hätte geschworen, dass der Entwerfer ein Schweizer ist. Die Schrift ist extra-ordinär und dennoch simpel genug um recht umfangreiche Texte wunderbar setzen zu können.
Eine wirkliche Typographie-Perle!
Thomas
Sehr schöne Schrift. Tolle Wirkung.
onetrickpony
die schrift und auch dein witziger text gefällt sehr gut^^
formschub
Besonders die menschlichen Figuren in den Piktogrammen finde ich unglaublich elegant und genial simpel umgesetzt. Die Figur z.B., welche die Treppe hinuntersteigt oder die sitzende Figur mit dem überschlagenen Bein kann man eigentlich kaum besser machen. Ich wette, in ein paar Jahren wird man die Netto inklusive ihrer Piktogramme im öffentlichen Raum recht häufig antreffen (wird auch Zeit, dass der Otl-Aicher-Style mal abgelöst wird). Toll!
microboy
die schrift ist sauber und solide aber eben doch eine von vielen rounded-fonts. wirklich hübsch sind dagegen die piktogramme und die kombination der piktos und der schrift …
Pascal
Ich meckere wirklich ungern, denn ich finde die Schrift sehr gelungen, doch schon in der ersten Sekunde kam mir vieles bekannt vor. Sie sieht ein wenig aus, als wäre sie für einen Airport konzipiert. Dann fiel es mir ein, da ich aus Köln komme und das Redesign unseres Flughafens genau beobachtet habe.
http://www.koeln-bonn-airport.de/index.php
Ich finde die Ähnlichkeit vor allem von den Icons frappierend. Die Schrift ist auch ähnlich…wie seht ihr das? Zuviel Nähe oder ist das OK?
Mir ist es eben böse aufgestossen…was aber die Qualität nicht schmälern soll. Mir gefällt der Font trotzdem sehr gut, wollte den Ansatz nur mal in den Raum werfen!
Christian
@ Pascal: Genau an dieses Projekt musste ich auch denken, bin mir aber nicht sicher, ob es nur an der ähnlichen Technik mit Buchstabenüberlagerung liegt. Ich finde die Formensprache gut und eindeutig (Das Wolken-Piktogramm ist super!), frage mich aber, ob die Piktogramme wirklich gut erkennbar sind, wenn es mal schnell gehen soll. Hinterleuchtet sicher, aber auch ohne Licht? Leider hat der Rollstuhlfahrer die Arme passiv nach vorne, das finde ich immer etwas demütigend.
Die Schrift finde ich gut, eine Cousine von DAX, DIN und Klavika.
Jürgen
@ Pascal: Danke für den Hinweis – Vergleiche machen immer Freude. Ich kannte die Airport-Köln-Webseite noch nicht. Die beiden Systeme sind sicherlich stilistisch verwandt. Die Schriften: Isonorm-artige, kontrastlose Monoline, Light-Strichstärke … wobei FF Netto Serifen und Sporne fehlen, wie bei der Dax. Die Piktogramme haben unterschiedliche Konstruktionsprinzipien: FF Netto wie aufgebogene Büroklammern, Köln Airport geschlossene (blinde) Formen, sehr fette Strichstärke.
Pascal
Ich muss dazu sagen, für jeden der es nicht kennt. Das Redesign hat Ruedi Baur entwickelt, daher auch die enorm hohe visuelle Qualität. Ich liebe dieses Design seit er es gemacht hat, auch wenn es hier in der Region sehr kritisch gesehen wurde. Man kennt das, die Kostendiskussion. Ich finde aber gerade hier ist ein extrem unverwechselbares Design geschaffen worden, was der Idee zu 100% gerecht wird. Es ging nämlich darum Köln/Bonn als Billigflieger-Urlaubsflughafen zu etablieren, was im übrigen auch geschafft wurde. Mit den schönen „leichten“ Icons ist das wie ich finde wunderbar gelungen.
So viel zum Hintergrund ;)
renko
Ich kann keine über die Maßen außergewöhnliche Ähnlichkeit in den Schriften oder Piktogrammen erkennen. Bei solcher Reduktion in dieser Sache ist der Formenreichtum ja unweigerlich eingeschränkt.
Der Flughafen Köln verwendet übrigens die Simple von Lineto.
fabian
Um genau zu sein wird die Simple Köln+Bonn genutzt. Die ursprüngliche Simple sieht ein bisschen anders aus, wurde aber für den Flughafen nochmal überarbeitet. Auch die Piktogramme sind übrigens von Norm entworfen worden…
Simon Wehr
@Pascal: Das mit den Rollstuhlfahrern sollte in Designerkreisen viel stärker kommuniziert werden, ich finde das ein sinnvolles Detail. Ich habe mal ein Icon von einem Rollifahrer gesehen, da habe ich echt Respekt bekommen, so aktiv und sportlich sah der aus.
Gleichzeitig frage ich mich aber immer, ob das Icon für Frau / Damen noch zeitgemäß ist (warum hat die hier übrigens nur ein Bein?).
Die Page hat mal Piktogramme für Indien vorgestellt, die hatten alle Umhänge an.
Man hat den männlich-weiblich-Unterschied dennoch mitbekommen.
Sebastian Nagel
Schöne Formensprache. Für mich eine wirklich ernsthafte Alternative zum etablierten Aicher-System (das so zeitlos ist dass es nie „ersetzt werden muss“).
Bei der Schrift – so schön sie ist – habe ich ein wenig Zweifel ob sie sich für Signale wirklich eignet. Auf den Autobahnen kritisieren wir die zu große Ähnlichkeit der Zeichenformen, und hier finden wir es dann schick?
Chris
unglaublich gut konstruiert und wunderbar kombinierbar.
noch besser, dass schrift und pictogramme eine so gute synergie eingehen. das fehlt mir bei den so oft verwendeten pictos von factor-erler, die in der neuen version das set ausbauen aber nicht wirklich verbessern.
Robert
Die Nähe zur »Simple« sehe ich auch nicht. Allerdings deutlich zu Linetos »Brauer Neue«. Sie weist die gleiche Charakteristik auf. Und ist zudem auch genauso schweizerisch schön. Im übrigen hat diese ihre Wurzeln in den 70ern, das erklärt wahrscheinlich auch den positiven Eindruck den die FF Netto hier auf uns macht…
Stefan Kalscheid
Die Schrift erinnert stark an die Isonorm und zu den Icons sagte mein Kollege nach einem raschen Blick nur „Neville Brody, 1992“. Recht hat er. Trotzdem schick, auch wenn einige Icons vielleicht noch nachgearbeitet werden könnten. Das Männchen, dass vor den Flammen wegläuft sieht für mich wie jemand aus, der dringend das WC sucht – die Hände schon im Schritt …
Ekkehard
Hut ab Daniel!
Gruß Eike
Mischa K
Gefällt, aber ich verstehe einige Pictos nicht. Was bedeuten z. B. die letzten drei oder in der vorletzten Zeile des pdfs die Hand bzw. die Hand mit der Karte (?)? Drittletzte Zeile ganz rechst leider auch nicht! Kann es jemand dem Dummkopf erklären?
Nico
Sehr schöne Schrift, alle Achtung!
Es wäre dennoch nett, das nächste mal nicht direkt den Ausgang eines Films zu verraten, den ich noch nicht gesehen habe! ;)
Grüße, Nico
fabian
Wenn man bei der Frau den Kopf wegnimmt, ist das übrigens ein super Piktogramm für »Space-Shuttle-Start«.
Jürgen
@ Mischa K: Du meinst die Piktogramme in dem PDF. Ich erkenn da Zeichen für:
leer, voll, Widerstand (Elektronik), Aushändigung, Fahrkarte/Flugschein bereithalten, Kondensator (Elektronik)
robertmichael
gefällt mir sehr gut, vorallem die pictos – auch wenn die frau auf dem einen bein aussieht wie eine glocke oder ein eis am stil. warum ist die nicht offen? wollte der designer nicht, dass man ihr unter den rock schauen kann? ;)
Matthias
Bin ich der einzige, für den die gehenden Personen auf den Piktogrammen (Treppe, Notausgang) aussehen, als müßten sie dringend aufs Klo?
Ansonsten: Schon schön, wenngleich mir die berockte Frau auch etwas altbacken vorkommt.
Toan
Auszug aus dem Büchlein »Köln-Bonn Airport Corporate Identity« von 2003:
»Die Hausschrift ist von der Schrift ›Simple‹ inspiriert, vom Atelier Norm entwickelt, dessen Typographen ebenfalls mit dem Re-Design für den Flughafen beauftragt wurden. Diese Schrift wurde gewählt, da von ihr ausgehend eine entsprechende Piktogramm-Sprache entwickelt werden kann. Piktogramme und Schriftzeichen gehören so ein- und derselben Familie von Schriftzeichen an, die den Flughafen identifizieren. Sie basieren auf einem gemeinsamen Grundraster und haben eine gleichbleibende Strichstärke. Die Schriften ›SimpleKölnBonn‹ und ›SimpleKölnBonnSymbols‹ können jederzeit innerhalb eines Textes gleichzeitig verwendet werden, ohne dabei visuelle Störungen hervorzurufen. Die Piktogramme verstärken ein Wort oder ersetzen es manchmal sogar. Sie können in den Text eingebettet oder im Gegenteil dazu durch eine Farbe hervorgehoben werden.«
Die Nähe zu dem Konzept finde ich schon sehr verblüffend. Die Ähnlichkeit einiger Piktogramme (Flugzeug, Geschenk, Koffer, Auto …) ist frappierend.
Die Piktogramme wurden übrigens nicht von Norm gezeichnet, sondern von Intégral.
Andreas Frohloff
Ich bin doch immer wieder verblüfft, mit welch grobem Raster Schriften verglichen werden! Für mich liegen zwischen der Simple/Brauer Neue und der FF Netto formal-ästhetische Welten. Während die beiden Lineto-Familien das statische Prinzip der geschlossenen Buchstabenform verkörpern, ist die FF Netto durch offene Buchstaben charakterisiert. Sie ist dadurch in diesem Fall sogar eleganter. Dazu kommt die leichtere Leserlichkeit, weil sie eben nicht auf dem ornamentalen Erbe des Klassizismus fußt. Nicht dass ich etwas gegen Ornamente oder geschlossene Buchstabenformen habe, aber der Vorteil der zierenden Wirkung, geht eben auf Kosten der leichteren Differenzierbarkeit …
Zu der Frage von ähnlichen Piktogrammen sage ich nur, reduzierte Symbolformen werden sich immer ähneln, da der Spielraum immer enger wird. Hier Klarheit zugunsten von Originalität zu opfern scheint mir kontraproduktiv zu sein. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass die Zeichen in der FF Netto noch lange nicht der Weisheit letzter Schluss sind. ;-)
Daniel
@ Toan: Natürlich bin ich nicht der Erste, der auf die Idee kam, Piktogramme und Buchstaben auf einheitlichen Gestaltungsparametern aufzubauen. Das wurde allerdings auch nie behauptet.
Ich bin mir auch nicht sicher, ob nun wirklich Norm oder Ruedi Baur die Entdecker dieses Prinzips sind. Einige weitere Beispiele sind etwa im Buch „Signage Design Manual“ von Edo Smitshuijzen zu finden. Warum sollte, nur weil es schon andere Projekte in dieser Richtung gab, nicht mehr an solchen Systemen gearbeitet werden?
Wie ein Ratatouille sind einige der Piktogramme so einfach, dass sie mittlerweile Allgemeingut sind, etwa der Koffer oder die Sonne. Die haben dann allerdings auch weder Ruedi Baur noch Neville Brody erfunden. Die Sonne findet sich beispielsweise auch genau so auf den aktuellen Apple-Keyboards. Was ich allerdings beanspruche „erfunden“ zu haben sind zahlreiche neue Formen, unter anderem für die Menschen. Daher übernehme ich auch die volle Verantwortung für die Frau mit den beiden eng zusammenstehenden Beinen.
Insgesamt beruhen Schrift und Piktogramme auf ganz anderen Konstruktionsprinzipien als die Simple. Ich fand es beispielsweise wesentlich praktischer, die Größe der Piktogramme von der Versalhöhe der Buchstaben zu lösen und habe bei der Gestaltung der Piktogramme auch kein Raster verwendet.
Man sollte nicht die Grundidee und das Ergebnis verwechseln.
Pascal
Schön, dass der Macher antwortet.
Ich wollte es eingangs auch nur mal in den Raum werfen und dazu andere Meinungen hören. Ein Plagiatsvorwurf, sollte das nicht sein. Die Schrift ist letztendlich vollkommen eigenständig. Es gibt halt Parallelen und das war eine Diskussion wert-oder?
Ich finde schlussendlich Deine Schrift sehr ästhetisch und sie hat für mich absolut Ihre Berechtigung als Alternative zu all den technischen Fonts die es bis jetzt gibt.
Giopo
Also die Pikotgramme sind doch wieder mal grauenhaft. Beispiele:
– Frau und Glace: Also die Frau sieht wie ein Raketenglace aus. Wer hat jemals einen solchen Minirock gesehen? Das muss besser gehen. Wieso nicht Business-Deux-Pieces?
– abstürzendes Flugzeug: kein Flugzeug landet mit der Nase nach unten.