Tipp: Antiquariatskataloge und deren Titelgestaltung
Womit kann man Bücherfreunde mehr begeistern als mit Büchern? Sicherlich mit Büchern über Bücher … Doch es gibt eine weitere Steigerungsform dieses Glücks: Ein Buch über Bücher die von Büchern handeln. Und da es das einzige seiner Art ist, sprechen wir hier von einem einmaligen Werk, das in der zweiten Meta-Ebene der Buchkultur angesiedelt ist.
Als ich vor 9 Jahren zum ersten Mal über den Berliner Antiquar und Verleger Jürgen Holstein schrieb (Liebhaberbuch für Designer), war Fontblog noch jung und die Buchindustrie in voller Blüte. Inzwischen sind viele Bits und Bytes durch Kindle & Co. geflossen, doch auf das Wirken und die Publikationen von Holstein hatte das kaum einen Einfluss. Seine Leidenschaft sind die Buchkunst und die Verlagsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die Zukunft des Buches kann ihm, als Beobachter abgeschlossener historischer Verlagsperioden, fast egal sein.
Und so publiziert Jürgen Holstein seine Erkenntnisse sowohl jenseits aller gültigen Verlagszyklen, aber auch nach den eigenen Qualitätskriterien und eigener Preisgestaltung. Sein neuestes Werk »Goldrausch & Werther« ist die Folgeveröffentlichung zum 2005 von mir vorgestellten Blickfang, damals in einer Auflage von 400 Exemplaren erschienen und in wenigen Tagen ausverkauft. Dieses Mal ist die Auflage mit 250 Exemplaren sogar etwas geringer, der Verkaufspreis bewegt sich in vergleichbarer Region: 178 € (zur Bestellseite auf Holsteinbuch …)
Das 300-seitige Verzeichnis widmet sich mit 850 farbigen Abbildungen einem Thema, zu dem es bisher keine Monografie gab: Der Präsentation von Antiquariatskatalogen und deren Titelseiten zwischen 1900 und 2014. Übertragen in die Welt der Schriften ist dies am ehesten vergleichbar mit einem Buch über die Musterblätter der Type-Foundries, so wie es Heike Nehl, Sibylle Schlaich, Alexander Branczyk, Jutta Nachtwey und ich 1999 mit »emotional_digital« beim Schmidt-Verlag herausgebracht haben.
Den Grundstock für »Goldrausch & Werther« bildet Jürgen Holsteins eigene Katalogsammlung, die er erstmals in dieser ausführlichen Auswahl vorstellt. »Der auffälligste Aspekt des jetzt vorgelegten Bandes ist die Fülle von Abbildungen, die die Lust am Experiment, Kataloge zu gestalten in all ihren Variationen widerspiegelt.« schreibt er in seiner Einleitung. Ausführliche Kommentare begleiten die Bildbeispiele aus aller Welt. Sie liefern Fakten, die sich auf den Inhalt und auf das Äussere der Kataloge beziehen, sowie auf persönliche und firmengeschichtliche Hintergründe der dahinter stehenden Antiquariate.
Einstiegsdoppelseite 1991 – 2000: Das japanische Antiquariat Hotaka-Shobo, spezialisiert auf Bergsteigen (links) und der Schiebelaschen-Einband eines Katalogs von Étude Loudmer, Paris, aus dem Jahr 1995 (rechts)
Es ist oft überraschend und unterhaltsam zu erfahren, in welch außergewöhnliche Fachgebiete sich Antiquariate vertieft haben und mit welcher Kenntnis und Intensität sie Besonderheiten ihrer Objekte aufspüren und beschreiben: Luftfahrt, Indianer, Typografie, Zeitmessung, Fotografie, Illustratione, Kinderwelten, die »Götter von gestern« oder die Bergsteigerei. Nicht selten ist den Katalogen anzumerken, dass deren Verfasser Quereinsteiger sind. »Das klassische Beispiel« so Holstein »sind Studienabbrecher, die als Antiquare eine Möglichkeit gefunden haben, in dem neuen Arbeitsgebiet ihren persönlichen Interessen nachzugehen«.
Jürgen Holstein hat sein gesamtes Berufsleben solchen Katalogen gewidmet. Er pflegte gute Beziehungen zu amerikanischen Bibliotheken, die im Lauf der Zeit seine wichtigsten Kunden wurden. Die Bedeutung der osteuropäischen Avantgarde erkannte er vor den großen Auktionshäusen und Museen. Verdienstvoll waren seine Aktivitäten nach der deutschen Wiedervereinigung. Aus der Sorge, dass wichtige Belege zur Buchkunst der DDR aus Ignoranz oder Ablehnung vernichtet würden, sammelte er alles ein was er kriegen konnte. Aus dem Besitz von Künstlern, Kunsthistorikern und Funktionären des Parteiapparats erwarb Holstein Bücher, Kataloge und Kleinschriften sowie Künstlerbücher, Plakate, Unikate und Objekte der alternativen Szene. Diese Materialsammlung, vermutlich die umfangreichste ihrer Art, lagert heute im Getty Center (Los Angeles) und ist in ihrer Vielfalt die ideale Voraussetzung für das Studium der abgeschlossenen Kunstgeschichte der DDR.
Doppelseite mit Katalogen der Antiquariate Scribner Book Store (New York, links) und dem Münchner Horst Stobbe (rechts), aus den Jahren 1910 bis 1955
Spezialisiert auf Bücher über Kunst und Architektur, legte Jürgen Holstein nicht nur Wert auf die gute Gestaltung der eigenen Kataloge, sondern registrierte auch aufmerksam, wie Berufskollegen sich ihren potentiellen Kunden präsentieren. Für die Gestaltung von »Goldrausch & Werther« hat er wieder die Berliner Buchgestalter Peter Nils Dorén und Reinhard Köster gewinnen können. Natürlich kam erneut seine Lieblingsschrift FF Meta von Erik Spiekermann zum Einsatz, und auf den perfekten Druck und die vorzügliche Bindung achtete er sowieso (fgb Freiburger Grafische Betriebe). Das Buch ist ist eine Hommage an alle Berufskollegen, die im 20. Jahrhundert nicht nur Bücher verkaufen, sondern mit der Ausstattung ihrer Kataloge selbst etwas Schönes in die Welt setzten.
Der Titel Goldrausch & Werther geht übrigens auf zwei herausragende Werke zurück, die Jürgen Holstein im Vorsatz des Buchs zeigt. Das ist zum einen »The Race for Gold« von Randall House (San Francisco, 1979), „a selection of rare and important books and other printed matter, … relating to the California gold rush«, und zum anderen der 100. Katalog von Friedrich Meyers Buchhandlung (Leipzig, 1911), blauer Umschlag mit gelbem Aufkleber, wie »Werthers blauer Frack und gelbe Weste«. Beides Belege für eine Kultur des Umgangs mit Büchern, die langsam verschwinden wird – das weiß auch Jürgen Holstein –, obwohl das Börsenblatt gerade ein »spürbar ansteigendes Interesses an antiquariatsgeschichtlichen Themen und Zusammenhängen« vermeldet und daher das »höchst willkommene Referenzwerk« mit Freude begrüßt.
Eine kleine Auswahl der liebevoll gestalteten Kataloge von L’Arengario Studio Bibliografico (Gusago, Italien, links) und Between the Covers (New Jersey, USA, rechts)
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