MoMA nimmt 23 Fonts in Design-Collection auf
Nicht ohne Stolz habe ich eben die Meldung zur Kenntnis genommen, dass das New Yorker Museum of Modern Art 23 Schriftfamilien erworben und in seinen Ausstellungsbereich Architecture and Design Collection aufgenommen hat. Damit nimmt das MoMA bereits zum zweiten Mal Typografisches in seine Sammlung auf (vgl. Fontblog: MoMA »kauft« @-Zeichen). Für einen Menschen, der seit 20 Jahren in der Font-Industrie wirkt, ist dieser Schritt eine (längst überfällige) wunderbare Bestätigung des Gegenstandes dieser Arbeit.
Im hauseigenen Mitteilungsblog Inside/Out heißt es heute: »MoMA has just acquired 23 digital typefaces for its Architecture and Design Collection. Some are of everyday use, like Verdana; others are familiar characters in our world, like Gotham, which was used in President Obama’s election campaign, or OCR-A, which we can find at the bottom of any product’s bar code; and others are still less common, but exquisitely resonant, like Walker or Template Gothic. … This first selection of 23 typefaces represent a new branch in our collection tree. They are all digital or designed with a foresight of the scope of the digital revolution, and they all significantly respond to the technological advancements occurring in the second half of the twentieth century. Each is a milestone in the history of typography.«
Unter den 23 Schriften sind viele Klassiker der Neuzeit, zum Beispiel Bell Centennial, OCR A, Interstate, Big Caslon, Verdana, Miller und Gotham (alle Links führen zum »ewigen« FontShop-Ranking www.100besteschriften.de, dessen Relevanz durch die MoMA-Akquisitionen erneut bestätigt wird). Andere gehörten zu den Vorreitern der Schrift-Digitalisierung: Oakland, Keedy Sans, Template Gothic und Dead History. Aus der Sicht eines New Yorker Museum ist es durchaus verständlich, dass die Auswahl mit US-Brille getroffen wurde. Um so mehr erfüllt es mich mit Stolz, dass auch europäische Schriften einen Platz in der Ausstellung gefunden haben (z. B. Jonathan Barnbrooks Mason), darunter sage und schreibe vier FontFonts: FF Meta (Design: Erik Spiekermann), FF Beowolf (Design: Erik van Blokland, Just van Rossum), FF Blur (Design: Neville Brody) und FF DIN (Design: Albert-Jan Pool).
Auf FF Blur bin ich besonders Stolz. Neville Brody hatte mir 1992 einen Prototypen der Schrift anlässlich eines Besuchs in London gezeigt (Laserausdruck). Er war unsicher, ob es ein FontFont werden sollte. Ich selbst wusste die Schrift auch nicht richtig einzuordnen, dachte mir aber (die Beatles-Strategie*) »wenn Neville das gut findet und sogar sein zweites Buch damit gestaltet will, muss was dran sein an dieser Blur«, die schlicht nur nach jenem Photoshop-Filter benannt war, der ihr die Form gab. Einige Wochen später war Blur unser aller Lieblingsschrift und sie wurde zum Bestseller.
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* Als ich 1968 Beatles-Fan wurde, haben sie mich praktisch mit jeder neuen Single überrascht, ja »schockiert« … nach ein paar Monaten habe ich diesen Überraschungseffekt geradezu eingefordert.
14 Kommentare
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Adam Twardoch
Ich bin wiederum besonders froh, dass fast ein Drittel der aufgenommenen Schriften von meinem Lieblings-Schriftgestalter stammen :)
Demjenigen, der — als ich ihm FontLab Studio 5 vorgeführt habe, und die FontAudit-Funktion an einer seiner Schriften mit einem roten Pfeil eine Portion der Outline als „potentiell problematisch“ markierte — auf seine Nachfrage, was dies bedeute, und auf meine darauffolgende Erklärung, so souverän wie er nur es kann, sagte: „I don’t think so“.
Jürgen Siebert
Danke für die freundliche Ergänzung: Die Würdigung von Matthew Carters Schriften ist phänomenal und absolut berechtigt.
Thomas Hühn
Was heißt „acquired“? Eine normale Ein-Benutzer-Lizenz, wie sie der Fontshop verkauft? Oder was individuell ausgehandeltes?
Jürgen Siebert
»Acquired« heißt in der Museumssprache »erworben« und reicht von Schenkung bis sauteuer ersteigert. Ich kenne die Details zu den 23 Schriften nicht, weder wer sie ausgesucht hat, noch wer sie auf welche Art erworben hat. Willst Du hören, wie ich als Foundry damit umgehen würde?
H
Die Schriften sind allesamt Schenkungen. Siehe: Webseite MOMA rechte Spalte
Ron
ja.
Jürgen Siebert
Siehe #5 ;-)
Adam Twardoch
Ebenso wollte ich noch hinzufügen, dass die Auswahl aus der FontFont-Bibliothek absolut berechtigt war: alle vier Familien (Meta, Beowolf, Blur, DIN) haben bei deren Markteinführung das jeweils bisherige Status Quo stark durchmischt bis völlig umgekrämpelt.
Meta war die perfektionierte Zusammenführung von Büro und Industrie (mit Officina gab es zwar schon einen Präkursor dieser Entwicklung, ebenso aus Eriks Hand). Sie stand, und steht bis heute, für die neue Ära der textlichen Kommunikation. In einem ähnlichen Geist steht natürlich die FF DIN, obwohl die Richtung der Zusammenführung die umgekehrte war: bei FF Meta war es die verfeinerte und neu interpretierte Schreibmaschinen-Letter, die nun zu einem echten Objekt der neuen digitalen Industrie geworden ist; bei FF DIN hat die Bürowelt aus der spröden Industriewelt geschöpft. In beiden Fällen entstand plötzlich etwas in der Mitte, was davor nicht da war: Design. (Ob mithilfe der FF Meta oder der FF DIN nun plötzlich jedermann Designer werden konnte — das haben sich sicherlich einige gedacht. Wir wissen nun, dass es so einfach doch nicht geht.)
Sowohl die FF Meta als auch die FF DIN sind als digitale Schriften enstanden, diese hätte aber nicht zwingend der Fall sein müssen. Anders bei den zwei weiteren Klassikern: FF Blur und FF Beowolf. Sie stehen zweifellos für die zwei wichtigsten Prozesse der digitalen Kreation: die digitale Nachahmung analoger Prozesse sowie die pure maschinengenerierte Formgebung.
Ohne den Prozessor und den Zufallszahlengenerator des PostScript-Interpreters wären die Formen der FF Beowolf gar nicht möglich gewesen. Dies war zu dieser Zeit eine absolut radikale Richtungsgebung.
Im Falle der FF Blur war dies etwas anders: hätten die Formen auch anders entstehen können? Klar, durch einen fotografischen Prozess. Es waren aber die digitalen Werkzeuge, die den scharfen, vektorbasierten Schnappschuss der fotografischen Unschärfe festhalten konnten. Es entstand eine digitale Momentaufnahme eines analogen Prozesses.
Ein Platz im MoMA ist für all dies mit Recht vorgesehen.
Thomas Hühn
Ich schließe mich aber dem Kommentator auf irgendeiner anderen Seite an: Computer Modern hätte man gut dazunehmen können.
Hey, ich bin Informatiker. :-)
Christoph
ich füg mal den entsprechenden Link zum letzten Kommentar an: http://christoph-knoth.com/articles/which-type-of-faces-suit-the-moma/
Adam Twardoch
In diesem Kontext ist Computer Modern etwas strittig. Es ist ja schließlich „The Museum of Modern Art“, und die Design-Sammlung. Der Gestaltungsprozess des Computer Modern ist auf jeden Fall innovativ, das Ergebnis ist aber weniger ein Design-Objekt. Eher eine… Kuriosität :)
(Was ja meinen persönlichen immensen Respekt für Don in keinerlei Weise schmälert.)
Das TeX-Satzsystem wäre hier eher geeignet. Das ist eine wahrhaftige Design-Maschine, eine der frühesten, die mit digitalen Mitteln völlig automatisch ein qualitatives Design-Objekt, nämlich eine schön gesetzte komplexe Publikation, erstellen kann.
Jürgen Siebert
Noch mal einen großen Dank an Adam. Es ist ein Geschenk für mich, dass Du die MoMA-Geschichte als neutraler Beobachter hier kommentierst. Kommentar 8 ist eine wunderbare Laudatio.
Thomas Hühn
Adam: CM selbst ist sicherlich etwas seltsam, aber nicht nur TeX, auch Metafont nötigt mir größten Respekt ab. Wenn man nur mal daran denkt, was Knuth damals schon an „Hinting“ ermöglicht hat.
Klar, es ist ziemlich Informatikerlastig, so richtig mit programmieren und so. Aber grundsätzlich glaube ich, daß es gerade heute mit schnellen Rechnern lohnend sein könnte, diese extreme Kontrolle über das Rendering zu haben. Gut, der Zug ist abgefahren, Metafont ist eine Skurrilität fürs Museum. Selbst die TeXler sind ja davon weg und hin zu OpenType.
Trotzdem, einfach bemerkenswert.
Auch seine Kurven (bzw. eigentlich von Herrn Hobby) sind innovativ. Es muß nicht immer Bezier sein. Im Design jedenfalls, wie es hinterher im Font landet, ist ja weitgehend egal. Auch da tut sich ja bis heute was, wenn man an Herrn Levien mit seinen Spiro-Kurven denkt.
Übrigens kann ich „Digital Typography“ nur wärmstens ans Herz legen. Kurze Essays zu diversen Aspekten der Schrift. Alleine das Essay zum „richtigen Bogen“ beim Buchstaben S lohnt sich schon.
Hans Ende
“… aside from a very important example—the 36-point Helvetica Bold lead type designed by Max Miedinger in 1956—previously there were no typefaces in MoMA’s collection.”
;-)