Loblied auf Stefan Kiefer

Vor vier Monaten star­tete ich hier im Fontblog die Initiative leiden­schaft­liche Typografie!. Viele Leser schlossen sich meinem Verlangen an und begrüßten in den Wochen darauf die Anregungen zur Weiterbildung (Gute Typografie, jetzt!).

Der Kampf geht weiter, liebe Freunde, auch 2012. Vergangene Woche wurde von einigen Mitstreitern auf Twitter bereits der Briefwechsel zwischen dem Bundespräsidenten Christian Wulff und den BILD-Chefredakteur Kai Diekmann typo­gra­fi­sche unter die Lupe genommen:

Nun, es ist keine Neuigkeit, dass im anwalt­li­chen Schriftverkehr, selbst wenn es möglich wäre (Fax, Brief, Abbildung für die eigene Homepage, …), die Wahl der Schrift dem Zufall über­lassen bleibt. Warum soll auch eine schrift­liche Mitteilung des Bundespräsidenten so aussehen, als käme sie aus dem Bundespräsidialamt, wenn seit Wochen bereits das gespro­chene Wort längst nicht mehr mit dem Amt in Einklang zu bringen ist. Dass es auch anders geht, macht der SPIEGEL vor … weil er es kann und weil er weiß, das sich gute Gestaltung am Kiosk auch gut verkauft. 

Wer ist jetzt Stefan Kiefer? Er ist als Ressortleiter beim SPIEGEL für die Gestaltung der Titelseite verant­wort­lich, gelernter Illustrator und seit 15 Jahren in Hamburg im Amt. Meistens entstehen die Ideen zur Gestaltung des Covers erst Mitte der Woche, wenn eines von mehreren Titelthemen seine Reife entwi­ckelt hat. Für Kiefer und sein Team bleibt gewöhn­lich nur wenig Zeit, einen Entwurf zur Vollendung zu bringen. Trotzdem hindert es die Redaktion nicht daran, alle Elemente des kommenden SPIEGEL-Titels mit Bedacht und Raffinesse zu planen. Auch die einzu­set­zende Schrift. Am vergan­genen Freitag war eine präsi­diale Typografie gefragt, denn das Titelthema 02/2012 sollte der Bundespräsident werden, dessen Ansehen im Verlauf der Woche gegen Null sank. Für die Zeile »In Amt und Würden« griff die SPIEGEL-Redaktion zur würde­vollen Amalia, entworfen von Nikola Djurek und heraus­ge­geben von OurType. Eine gute Wahl, wie man heute am Zeitungsstand sehen kann (Abb oben).

Wie Stefan Kiefer und sein Team arbeiten, zeigt das folgende Video des SPIEGEL:


18 Kommentare

  1. Indra

    Die Wahl der Schrift im anwalt­li­chen Schriftverkehr wird inter­na­tional leider keines Wegs dem Zufall über­lassen sondern meist vorge­schrieben (vgl. Typography for Lawyers). Das macht Times New Roman hier natür­lich nicht besser aber spricht even­tuell den Anwalt von der Anklage der Einfallslosigkeit frei.

  2. Nico

    Ich will ja wohl hoffen, dass ein Brief von Wulffs Anwalt nicht mal den Anschein erweckt es könnte sich um eine Mitteilung des Bundespräsidialamtes handeln.

  3. Simon Wehr

    Es gibt inter­na­tio­nale Regeln, wie ein Anwaltsschreiben zu typo­gra­fieren ist? Wow! Ist das Papier dafür auch festgelegt? 

  4. Wilhelm

    Hut ab vor Stefan Kiefers Leistung oder Hoch lebe der Anachronismus
     

  5. Lorer

    Nur das Foto ist eine ziem­liche Frechheit. 

  6. Max Zumthor

    @ Lorer:
    Frechheit? Warum?

  7. Reinhard

    Na man fragt sich beim aktu­ellen Titel doch schon, was da im Photoshop alles schief­ge­laufen ist, oder nicht? ;)

  8. honk

    @Reinhard: Dem Video der Titelbildredaktion nach zu urteilen ist es sehr unwar­schein­lich, dass hier irgend­etwas dem Zufall über­lassen wird. Sondern eine beab­sich­tigte Intention an den Betrachter sugge­rieren soll. Darüber kann man reflek­tieren, nach­voll­ziehen und dann erst vll. sagen "ok, ich hätts nicht so gemacht".

  9. koni

    @honk: man muß aber auch nicht jedem Werbefilmchen unre­flek­tiert trauen.

  10. Caleb

    Auch wenn's offtopic ist, würde mich in diesem Zusammenhang sehr inter­es­sieren, WIE genau das Foto der aktu­ellen Ausgabe entstanden ist. Der Gesichtsausdruck spricht nämlich für sich, ich finde ihn sehr ausdrucks­stark und einfach passend. Allerdings kann ICH mir nicht vorstellen, dass CW in dieser Pose mit genau diesem Gesichtsausdruck in der Realität abge­lichtet wurde… Meine Vermutung: eine sehr realis­ti­sche Illustration.

  11. Reinhard

    Ob jetzt Foto, Fotomontage oder Illustration. Was mich vor allem stört ist der in meinen Augen über­trie­bene Kontrast, der dann auch zu den absump­fenden Schatten am Haaransatz und hinter der linken Gesichtshälfte führt. Das hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen. Und das stört das Gesamtbild für mich doch enorm. Aber viel­leicht war's ja genau die Intention, man weiß es nicht.

  12. Max Zumthor

    Schwarze Schatten fallen auf Christian Wulff…

  13. Vroni

    Das kommt alles vom Glamour-Filter des Photoshop-Plugins Portrature.
    :-)
    .
    Der zu sehr absump­fende Schatten am Haaransatz ist dem Autohimmel geschuldet (er sitzt hinten innen im Wagen, oben gibt es Schatten). Was dann wegen des vermut­lich über den Kopf global ange­wen­deten Glam-Filters ein Eigenleben bekommen hat.
     

  14. Vroni

    Korrekt.
    Aber blasser, kaum Kontrast und ohne irgend­welche Glam-Filter.

  15. Regina Warnecke

    Zurück zur Anwaltsschrift: Die Wahl der Schrift (und des Layouts) ist tatsäch­lich dem Zufall über­lassen bzw. dem, was das Textverarbeitungsprogramm grade anbietet; Vorschriften gibt es nicht – jeden­falls nicht in Deutschland. Man glaubt gar nicht, welch grot­ten­schlechte und schwer lesbare Typografie sich auf zuweilen gut und teuer gestal­teten Briefbögen tummelt.

  16. Tobias

    Wenn ein Mensch verblöden möchte wird er Schriftspezialist. Das heisst, er ist ein Mensch, der pedan­tisch darauf bedacht ist immer mit der neuesten tech­ni­schen Entwicklung eines Computers und dessen Software um zu gehen. Des weiteren sitzt er aber ziehm­lich verkrampft an seinem Schreibtisch und »kommu­ni­ziert«. Also flacher kann eine Meldung hier nicht werden. Nur durch vielen Gebrauch nutzt sich eine Schrift nicht ab. Entscheident ist, dass sie ein bestimmte Problem möglichst elegant gelöst wird. Wenige Schriften sind effi­zi­enter als Times. Ja, die Amalia ist eine wunder­bare Schrift, man spürt aller­dings wenig davon auf der Titelseite des Spiegels. Eine gute Walbaum hätte das Problem auch gelöst.

  17. Thomas Maier

    Die Times ist eine gute Schrift.

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