Loblied auf Stefan Kiefer
Vor vier Monaten startete ich hier im Fontblog die Initiative leidenschaftliche Typografie!. Viele Leser schlossen sich meinem Verlangen an und begrüßten in den Wochen darauf die Anregungen zur Weiterbildung (Gute Typografie, jetzt!).
Der Kampf geht weiter, liebe Freunde, auch 2012. Vergangene Woche wurde von einigen Mitstreitern auf Twitter bereits der Briefwechsel zwischen dem Bundespräsidenten Christian Wulff und den BILD-Chefredakteur Kai Diekmann typografische unter die Lupe genommen:
Skandal! Wulff-Anwalt benutzt Times New Roman! #Schrifttypengeschmacksverirrung
— Marian Tobias Wirth (@mtwirth) Januar 5, 2012
Kai #Diekmann schreibt in Times New Roman.
— typefacts.com (@typefacts) Januar 5, 2012
Nun, es ist keine Neuigkeit, dass im anwaltlichen Schriftverkehr, selbst wenn es möglich wäre (Fax, Brief, Abbildung für die eigene Homepage, …), die Wahl der Schrift dem Zufall überlassen bleibt. Warum soll auch eine schriftliche Mitteilung des Bundespräsidenten so aussehen, als käme sie aus dem Bundespräsidialamt, wenn seit Wochen bereits das gesprochene Wort längst nicht mehr mit dem Amt in Einklang zu bringen ist. Dass es auch anders geht, macht der SPIEGEL vor … weil er es kann und weil er weiß, das sich gute Gestaltung am Kiosk auch gut verkauft.
Wer ist jetzt Stefan Kiefer? Er ist als Ressortleiter beim SPIEGEL für die Gestaltung der Titelseite verantwortlich, gelernter Illustrator und seit 15 Jahren in Hamburg im Amt. Meistens entstehen die Ideen zur Gestaltung des Covers erst Mitte der Woche, wenn eines von mehreren Titelthemen seine Reife entwickelt hat. Für Kiefer und sein Team bleibt gewöhnlich nur wenig Zeit, einen Entwurf zur Vollendung zu bringen. Trotzdem hindert es die Redaktion nicht daran, alle Elemente des kommenden SPIEGEL-Titels mit Bedacht und Raffinesse zu planen. Auch die einzusetzende Schrift. Am vergangenen Freitag war eine präsidiale Typografie gefragt, denn das Titelthema 02/2012 sollte der Bundespräsident werden, dessen Ansehen im Verlauf der Woche gegen Null sank. Für die Zeile »In Amt und Würden« griff die SPIEGEL-Redaktion zur würdevollen Amalia, entworfen von Nikola Djurek und herausgegeben von OurType. Eine gute Wahl, wie man heute am Zeitungsstand sehen kann (Abb oben).
Wie Stefan Kiefer und sein Team arbeiten, zeigt das folgende Video des SPIEGEL:
18 Kommentare
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Indra
Die Wahl der Schrift im anwaltlichen Schriftverkehr wird international leider keines Wegs dem Zufall überlassen sondern meist vorgeschrieben (vgl. Typography for Lawyers). Das macht Times New Roman hier natürlich nicht besser aber spricht eventuell den Anwalt von der Anklage der Einfallslosigkeit frei.
Nico
Ich will ja wohl hoffen, dass ein Brief von Wulffs Anwalt nicht mal den Anschein erweckt es könnte sich um eine Mitteilung des Bundespräsidialamtes handeln.
Simon Wehr
Es gibt internationale Regeln, wie ein Anwaltsschreiben zu typografieren ist? Wow! Ist das Papier dafür auch festgelegt?
Wilhelm
Hut ab vor Stefan Kiefers Leistung oder Hoch lebe der Anachronismus
Lorer
Nur das Foto ist eine ziemliche Frechheit.
Max Zumthor
@ Lorer:
Frechheit? Warum?
Reinhard
Na man fragt sich beim aktuellen Titel doch schon, was da im Photoshop alles schiefgelaufen ist, oder nicht? ;)
honk
@Reinhard: Dem Video der Titelbildredaktion nach zu urteilen ist es sehr unwarscheinlich, dass hier irgendetwas dem Zufall überlassen wird. Sondern eine beabsichtigte Intention an den Betrachter suggerieren soll. Darüber kann man reflektieren, nachvollziehen und dann erst vll. sagen "ok, ich hätts nicht so gemacht".
koni
@honk: man muß aber auch nicht jedem Werbefilmchen unreflektiert trauen.
Caleb
Auch wenn's offtopic ist, würde mich in diesem Zusammenhang sehr interessieren, WIE genau das Foto der aktuellen Ausgabe entstanden ist. Der Gesichtsausdruck spricht nämlich für sich, ich finde ihn sehr ausdrucksstark und einfach passend. Allerdings kann ICH mir nicht vorstellen, dass CW in dieser Pose mit genau diesem Gesichtsausdruck in der Realität abgelichtet wurde… Meine Vermutung: eine sehr realistische Illustration.
Reinhard
Ob jetzt Foto, Fotomontage oder Illustration. Was mich vor allem stört ist der in meinen Augen übertriebene Kontrast, der dann auch zu den absumpfenden Schatten am Haaransatz und hinter der linken Gesichtshälfte führt. Das hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen. Und das stört das Gesamtbild für mich doch enorm. Aber vielleicht war's ja genau die Intention, man weiß es nicht.
Max Zumthor
Schwarze Schatten fallen auf Christian Wulff…
Vroni
Das kommt alles vom Glamour-Filter des Photoshop-Plugins Portrature.
:-)
.
Der zu sehr absumpfende Schatten am Haaransatz ist dem Autohimmel geschuldet (er sitzt hinten innen im Wagen, oben gibt es Schatten). Was dann wegen des vermutlich über den Kopf global angewendeten Glam-Filters ein Eigenleben bekommen hat.
koni
Das Foto gab’s ja (u. a.) schon auf
http://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/der-tag-danach-21923732.bild.html
Vroni
Korrekt.
Aber blasser, kaum Kontrast und ohne irgendwelche Glam-Filter.
Regina Warnecke
Zurück zur Anwaltsschrift: Die Wahl der Schrift (und des Layouts) ist tatsächlich dem Zufall überlassen bzw. dem, was das Textverarbeitungsprogramm grade anbietet; Vorschriften gibt es nicht – jedenfalls nicht in Deutschland. Man glaubt gar nicht, welch grottenschlechte und schwer lesbare Typografie sich auf zuweilen gut und teuer gestalteten Briefbögen tummelt.
Tobias
Wenn ein Mensch verblöden möchte wird er Schriftspezialist. Das heisst, er ist ein Mensch, der pedantisch darauf bedacht ist immer mit der neuesten technischen Entwicklung eines Computers und dessen Software um zu gehen. Des weiteren sitzt er aber ziehmlich verkrampft an seinem Schreibtisch und »kommuniziert«. Also flacher kann eine Meldung hier nicht werden. Nur durch vielen Gebrauch nutzt sich eine Schrift nicht ab. Entscheident ist, dass sie ein bestimmte Problem möglichst elegant gelöst wird. Wenige Schriften sind effizienter als Times. Ja, die Amalia ist eine wunderbare Schrift, man spürt allerdings wenig davon auf der Titelseite des Spiegels. Eine gute Walbaum hätte das Problem auch gelöst.
Thomas Maier
Die Times ist eine gute Schrift.