Letter Gothic: Kopfarbeiter


Sie war die erste serifenlose Schreibmaschinentype. Roger Roberson entwarf Letter Gothic 1956 für die elektrischen IBM-Modelle. In den 1990er Jahren kam die digitalisierte Version der Schrift wieder in Mode. FSI FontShop International ließ die Schrift überarbeiten und ausbauen. Weiterlesen ...


Die größte Schwäche der Schreibmaschine war schon immer ihre einheitliche Buchstabenbreite. Die Zeichen W und i litten am meisten darunter: ersteres wurde auf engem Raum zusammengepresst, das i bekam einen breiten Fuß und am Kopf eine Halbserife – dies alles ist bei der Schrift Courier sehr gut zu besichtigen.
Lange Zeit waren Serifenschriften das bevorzugte Modell für das Entwerfen von Schreibmaschinentypen. Die Endstriche dienten den Designer als Spielball, um schmale Buchstaben breit zu machen und breite Lettern zu verschmälern. Im Herbst 1958 wagte sich der IBM-Ingenieur Roger Roberson an ein Experiment, dem seine Kollegen keine großen Chancen einräumten. Tag und Nacht zeichnete Roberson an einem Alphabet für IBM-Schreibmaschinen mit gleichen Buchstabenbreiten, die allesamt ohne Füßchen auf ihrer gedachten Schriftlinie standen. Dies waren die Geburtswochen der Schrift Letter Gothic.



Ganzseitige Anzeige für die Kugelkopfschreibmaschiene IBM Selectric aus dem Jahre 1962 (Scan: Fontblog)

Die IBM Selectric machte Letter Gothic weltberühmt. Das Modell überzeugte mit einem gänzlich neuen Konstruktionsprinzip: statt Typenhebel brachte eine drehende Kugel die Buchstaben zu Papier. Die Kugelkopfschreibmaschine war ein mechanisches Meisterwerk und äußerst komplex konstruiert. IBM hielt über mehrere Jahre ein Patent für diese Technologie und eroberte damit fast im Alleingang die Büros. Durch den austauschbaren Kugelkopf (engl: golf ball) konnten die Benutzer erstmals mit unterschiedlichen Schriftgrößen und Schriftarten schreiben.
Letter Gothic ist eine »mono-spaced« Schrift, auch »fixed-pitch« oder »nicht proportional« genannt. Dies bedeutet, dass der Raum (genauer: die Summe aus Vor-, Zeichen- und Nachbreite) für alle Buchstaben gleich groß ist. Pitch als Maßeinheit bezeichnet die Anzahl der Buchstaben pro Zoll (auf der Waagerechten). Ein Kugelkopf mit der Kennzeichnung 12 (Pitch) enthielt also eine Schrift, die geschrieben 12 Zeichen pro Zoll ergab.



IBM-Kugelkopf (golf ball) mit Letter Gothic 12 Pitch und 96 Zeichen (Foto: Fontblog)

Die Höhe der Buchstaben wird in Punkt gemessen. Beim Schreiben am Computer lassen sich sowohl die Punktgröße als auch der/die/das Pitch verändern. Dabei verhalten sich Punkt und Pitch umgekehrt proportional. Wenn eine 12 Punkt große Schrift 10 Pitch entspricht, dann wird sie 5 Pitch bei 24 Punkt und 20 Pitch bei 6 Punkt.
Als Ende der 1980er Jahre das Desktop Publishing (DTP) geboren wurde, war die Schreibmaschine in der Bürokommunikation bereits auf dem Rückzug. Briefe und Faxe wurden mit einer Textverarbeitung am PC verfasst und auf einem Nadeldrucker ausgegeben. Dann kamen Laserdrucker und die Auswahl der Schriften wuchs ins Unermessliche. Gleichwohl überlebten einige Schreibmaschinen-Klassiker, denn auch im Computerzeitalter sollten maschinen-geschriebene Briefe wie Briefe aussehen und nicht wie eine Zeitungsspalte, gesetzt in Times. Die Courier gehörte von Anfang an zur Ausstattung der Laserdrucker. Im Sommer 1989 kam auch die populäre Letter Gothic im PostScript-Format heraus.



Letter Gothic: alle Zeichen nehmen den gleichen Raum ein



FF Letter Gothic Text: proportionale, platzsparende Alternative

Zu Beginn der neunziger Jahr waren viele Grafikdesigner der perfekten Schriftformen überdrüssig und gingen auf die Suche nach Archetypen des frühen Computerzeitalters. Die Deutsche Industrieschrift DIN wurde wegen ihrer schlichten geometrischen Formen geliebt. Letter Gothic von Bitstream oder Adobe überzeugten durch die straffe Rhythmik des Monospacing.
Jede Menge Schriftentwerfer gingen auf die Bedürfnisse der Anwender ein und kultivierten »behinderte Typen« wie FF Trixie, FF Confidential, FF Dynamoe, FF Blur und FF Magda. Die Deformation der Buchstabenformen als Konsequenz unfähiger Mechanik wurde mit digitaler Technik nachgeahmt und verstärkt.



Eine moderne Schrift bietet über 200 Zeichen ... FF Letter Gothic bietet mehr: neben der PostScript-Standardbelegung befinden sich in einem ergänzenden Expert-Font (für alle Schnitte) mathematische Zeichen, Ligaturen und Symbole

Um 1995 beschloss FSI FontShop International, einige »Non-Design-Schrift-Stars zu adoptieren«. Nach sorgfältiger Überarbeitung standen sie plötzlich wieder im Rampenlicht, als FF DIN und als FF OCR F (beide überarbeitet von Albert-Jan Pool). 1996 folgte FF Letter Gothic Text. Die Ausstattung des Originals aus den 60er bzw. 80er Jahren entsprach nicht den Erwartungen an eine moderne Schrift: es gab nur zwei Strichstärken und es fehlten Akzente und Sonderzeichen. FSI beauftragte den italienischen Schriftentwerfer Albert Pinggera, die Letter Gothic soweit anzupassen und zu überarbeiten, dass sie den Anforderungen des Desktop Publishing genüge.



Für den hochwertigen Textsatz gemacht: FF Letter Gothic Text ist nicht mono-spaced, so dass sich im Mengensatz ein wunderbar gleichmäßiges Grau ergibt

Die Wiedergeburt des Klassikers Letter Gothic blieb von »Aufhübschungen« verschont, das Schriftbild behielt seine Ungeschliffenheit. Ziel der Neuinterpretation war, die Anwendungsmöglichkeiten der Familie zu vergrößern. Wie der Name »FF Letter Gothic Text« vermuten lässt, weist Pinggeras erste Überarbeitung keine einheitliche Buchstabenbreite auf. Viele Gestalter wollten nämlich Letter Gothic für längere Lesetexte einsetzen, und dafür ist die angenehme Lesbarkeit einer Proportionalschrift Voraussetzung. Daher entschloss sich Pinggera für variable Zeichenbreiten und Buchstabenabstände. Außerdem fügte er eine Menge mathematischer Zeichen hinzu, zum Beispiel Brüche, griechische Buchstaben, Rechenzeichen und Symbole, die man in gesonderten Expert-Zeichensätzen findet. Mediävalziffern mit Ober- und Unterlängen sind Standard bei FF Letter Gothic Text.



Zwei verschiedene Zahlenarten in FF Letter Gothic: Mediäval- (Text) und Tabellenziffern (Mono)

Im Jahre 1996 kam die Familie in den Strichstärken Light, Roman und Bold auf den Markt; zwei Jahre später folgten in gesonderten Paketen die Italic-Schnitte, sowie eine komplette Monospaced-Version namens FF Letter Gothic. Dies war ein Entgegenkommen an die frühen Benutzer der FF Letter Gothic Text, die sich zwar über eine ausgebaute Schriftfamilie freuten, aber den authentischen Monospace-Charakter vermissten.
Die Text-Version behält ihre Berechtigung als angenehm lesbare Mengensatz-Schrift. Beide Familien eignen sich hervorragend für den gemeinsamen Einsatz, weil alle Zeichen aufeinander abgestimmt sind. Die Tabellenzahlen in FF Letter Gothic sind einer perfekte Alternative zu den Old-Style-Ziffern der FF Letter Gothic Text. Pinggera hat übrigens zu allen drei Strichstärken echte Kursive entworfen, so dass sich insgesamt eine Großfamilie mit 12 Mitgliedern ergab.




Letter Gothic im Lauf der Zeit und in verschiedenen Ausbaustufen:
A. Kugelkopf (wenig Kontrast zwischen Roman und Bold)
B. Bitstream, 12 Pitch (mit echter Italic) (näher anschauen und Probe setzen)
C. Adobe/Agfa (näher anschauen und Probe setzen)
D. Monotype (näher anschauen und Probe setzen)
E. FontFont Letter Gothic (3 Strichstärken) (näher anschauen und Probe setzen) und Italic (näher anschauen und Probe setzen)

Im Jahr 1999 erschien in der FontFont-Bibliothek eine kuriose Sonderform der Letter Gothic namens FF Letter Gothic Slang. Die US-Designerin Susanna Dulkinys hatte sie für den Titel des Wired-Buchs »Jargon Watch: A Pocket Dictionary for the Jitterati« entworfen, das sich dem Vokabular der New Economy und der Nerds widmete. Was liegt da näher, als eine Dialekt-Schrift zu entwickeln. Dulkinys nahm FF Letter Gothic als Ausgangsbasis und leitete eine kompatible Slang-Version ab.



Hardcover des Wörterbuchs Jargon Watch, gesetzt in FF Letter Gothic Slang (Cover- und Type-Design: Susanna Dulkinys; Foto: Fontblog)


Der Schöpfer von FF Letter Gothic, Albert Pinggera, über sein Werk:

»Ich glaube, dass vielen Gestalter geholfen ist mit den beiden Versionen der FF-Letter-Gothic-Familie: Sie haben die Wahl zwischen Monospace- und Text-Version mit echten Kursiven, die konsequent aufeinander abgestimmt sind. Die alte Letter Gothic war mit ihren zwei Strichstärken und einer schräg gestellten Version mehr als bescheiden ausgebaut. Zudem war der Unterschied zwischen Roman und Bold zu gering. Moderne Reprotechniken verlangen da eine feinere Differenzierung.

Insgesamt denke ich, dass FF Letter Gothic für ungezählte Aufgaben eingesetzt werden kann. Natürlich liegt ihr Stärke im Korrespondenz-Bereich, sowie bei Broschüren und Zeitschriften. Aber auch beim Corporate Design und auf Leitsystemen funktioniert FF Letter Gothic hervorragend. Die Möglichkeit, zwischen Monospace und Text wählen zu können, macht die Schrift universell einsetzbar in Überschriften und im Textsatz.

Charakteristische Merkmale der Textversion sind die enge Laufweite und das sorgfältige Kerning für mitteleuropäische Sprachen. Darüber hinaus sind die Auswahl an Strichstärken, die Mono-/Text-Alternative und die Verfügbarkeit von Mediävalziffern die wahren Qualitäten dieser Letter-Gothic-Familie.

Vom Charakter her würde ich FF Letter Gothic Text als typisches Kind der Neunziger Jahre betrachten, das in einer Reihe steht mit FF Meta, ITC Officina und FF Info. Die monospaced Version hat ihren typischen Schreibmaschinencharakter behalten. Mittlerweile gibt es jede Menge neuer monospaced Schriften am Markt. Letter Gothic ist jedoch vom Ursprung her eine monospaced angelegte Schrift, während viele der heutigen auf Mono getrimmte Text-Versionen sind.«



Albert Pinggera

Albert Pinggera (*1971) lebt und arbeitet in Südtirol (Italien). Von 1990 bis 1992 war er Produktionsassistent bei einer Zeitung in Bozen. Danach wechselte er zum Designbüro Gert Wiescher nach München und später zu MetaDesign nach Berlin, wo er ab 1994 seine typografischen Fähigkeiten vertiefte. Im Herbst 1995 begann er ein Grafik- und Typografie-Studium an der Königlichen Akademie der Künste in den Haag, das er 1997 abschloss.
Pinggera führt heute sein eigenes Designbüro in Italien, wo er sich mit der Gestaltung von Büchern, Formularen, Corporate Designs und Leitsystemen beschäftigt. Seit einigen Jahren unterrichtet er Typografie und Schriftdesign an der Akademy für Design in Bozen.

Hinweis: FF Letter Gothic ist die Korrespondenzschrift von FontShop.

Herausgegeben: Fr - September 2, 2005 at 01:18 nachm.         |


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