Bau: Mutter Sans und ihre KinderDie Leipziger Schriftgießerei Schelter & Giesecke
veröffentlichte um 1880 eine bemerkenswerte, linear konstruierte
Grotesk-Schrift. Sie diente Max Miedinger Jahre später als Vorlage
zur Helvetica. Der US-Schriftentwerfer Christian Schwartz hat die
Scheltersche Grotesk werkgetreu digitalisiert und als Bau
veröffentlicht. Weiterlesen
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Das Schriftentwerfen ist keine Kunst, sondern Handwerk. Schriften sind
Rohmaterial, das dazu dient, geschriebenen Text zum Leben zu erwecken. Die
gehobene Form dieser Profession nennen wir Typografie. Erstklassige
Typografinnen und Typografen behandeln Schriften wie eine Kapitalanlage,
deren Wertsteigerung sie mit ihrer Gestaltungsarbeit selbst bestimmen.
Die junge Schriftfamilie FF Bau aus der FontFont-Bibliothek (2005-Katalog-Nachtrag als PDF) ist ein solcher Schatz, der eine Lücke im weltweiten Schriftangebot schließt. Obwohl nahezu alle Erfolgsschriften der Bleisatzära in den Fundus des Computersatzes Eingang gefunden haben, lag die »Mutter aller Sans-Serifs« bislang in keinem digitalen Format vor. Die Rede ist von Schelter Grotesk, der Vorlage für FF Bau. Die Leipziger Schriftgießerei Schelter & Giesecke veröffentlichte sie um 1880: eine linear konstruierte, wegweisende Serifenlose, die sofort für Aufsehen sorgte und ein Longseller wurde. Jahre später dient sie Max Miedinger als Vorlage für Helvetica, die bei ihrer Premiere unter dem Namen Neue Haas Grotesk auf den Markt kam. Die fette Scheltersche Grotesk, Reproduktion eines Schriftmusters (um 1900), das als Vorlage für die Bau diente Schelter Grotesk sieht aus wie eine gefällige Spielart der Akzidenz Grotesk, mit Antiqua-(Doppeldecker)-g, kleiner Mittellänge und schmaleren Zeichen. Ein wahres Arbeitstier, ohne Wenn und Aber einsetzbar für den Mengensatz, der jahrhundertelang von Serifenschriften dominiert wurde. Im Bauhaus kam sie laufend zum Einsatz, weil deren Setzerei noch üppig mit Schelter-Blei bestückt war. Auch der große Typograf Jan Tschichold verwendet sie gerne. 1999 fiel FontShop-Gründer Erik Spiekermann eine Original-Satzprobe der Schelter Grotesk in die Hände, die er seinem »Hof-Digitalisierer« Christian Schwartz weitergab, um zu prüfen, ob sich aus den Vorlagen brauchbare Computerschriften generieren ließen. Wer wäre besser geeignet, eine Bleisatzschrift zu neuem Leben zu erwecken als Schwartz? Er lernte fast zwei Jahre bei David Berlow, dem Gründer des Bostoner Font Bureau, Inc. bekannt für exzellente Schrift-Reeditionen und großes handwerkliches Können. Christian Schwartz nahm sich in den folgenden Jahren immer wieder der Schelter Grotesk an. Er zeichnete jeden der gerade stehenden Schnitte, also jede Strichstärke, einzeln neu, um die Eigenheiten des Originals zu verstehen und zu erhalten. Heute werden üblicherweise Schriften aus zwei Extremen, zum Beispiel Light und Black, interpoliert. Diese Rationalisierung ist verständlich und nicht zu verteufeln, denn mit einiger Erfahrung ergeben sich konsistente, brauchbare Resultate. Plakat des Designers und Bauhaus-Lehrers Herbert Bayer, nachgesetzt von Christian Schwarz mit seiner FF Bau Im Falle der Schelter Grotesk war das oberste Gebot, ihren »Spirit« und ihre Wärme ins digitale Zeitalter hinüber zu retten. Es gab damals keinen extrafetten Schnitt, was Schwartz zum Anlass nahm, eine Super ganz neu zu entwerfen. Warum Super? Darauf gibt es zwei klare Antworten: Erstens macht der extrafette Schnitt die Familie erst wirklich Headline-tauglich (wir kennen die Vorliebe der US-Magazingestalter für eng gesetzte, superfette Überschriften) und zweitens brachte diese Zugabe dem Entwerfer genau jenen Interpretationsraum, der für das Werk wie auch die persönliche Entwicklung lebenswichtig ist. Das Ergebnis des FontShop-Schrift-Test der FF Bau, (entnommen dem Magazin fonts 1) So ist der Super-Schnitt der eigentliche Glanzpunkt der FF Bau, die zunächst »FF Haus« heißen sollte, aber der Name war bereits vergeben. Die bulligen, kompakten Lettern mit ihren fast verschwindenden Innenräumen heben die Familie klar ab von allen bisherigen Derivaten. Anfang 2004 kam die FF Bau bei FSI FontShop International heraus: 4 Strichstärken mit Mediävalziffern als Standard, alternativ je 4 Schnitte mit Versal- und Tabellenziffern; Expert-Schnitte mit Sonderzeichen rundeten das 22 Fonts umfassende Paket ab. Leider fehlte eine Kursive, ohne die eine Textschrift nahezu unverkäuflich ist. Das musste auch Erik Spiekermann jüngst mit seiner FF Unit erfahren, die bei den Kunden erst richtig Anerkennung fand, als die Italic lieferbar war, fast ein Jahr nach der Erstvorstellung. Zur Freude der schnell wachsenden Bau-Interessengemeinde ließ die Italic nicht lange auf sich warten. Noch vor Ende 2004 lag sie in den Regalen, ebenso gut ausgebaut und sorgfältig digitalisiert wie die geraden Schnitte. Die Verwandten der FF Bau im Vergleich mit der »Mutter« Ihre Geschichte ist ähnlich abenteuerlich wie die von FF Bau Roman. Das US-Magazin Men’s Fitness verordnete sich Anfang 2004 ein Redesign, und da lag es nahe, die neue, muskulöse FF Bau Super als Headline-Schrift einzusetzen. Die leichteren Schnitte sollten für die Lesetexte zum Einsatz kommen. Aber ohne Kursive zum Auszeichnen? Ein Ausschlusskriterium. Doch Neal Boulton, der Design-Berater der Life-Style-Zeitschrift, griff selbst zum Stift und legte den Grundstein für vier kursive Schnitte, die bei Font Bureau unter großem Zeitdruck digitalisiert wurden. »Ein guter Anfang, doch nur wenig davon ist in der endgültigen Fassung von FF Bau Italic enthalten« betont Christian Schwartz heute: »Vieles musste in eine andere Richtung gebracht werden.« Wenige Wochen später war sie fertig, FF Bau wurde komplett. Das Nachliefern von Schriftergänzungen gehört zu jener Art Verführungskunst, die FontFont-Herausgeber FSI perfekt beherrscht. Sicher auch ein Grund dafür, dass die Schriften der FontFont-Bibliothek den Wünschen ihrer Benutzer stets auf den Fersen folgen. Schriftentwerfer Christian Schwartz (New York) gehört zu den großen Könnern seiner Gilde Herausgegeben: Mo - September 12, 2005 at 02:17 nachm. | |
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