Deutsche Schrift könnte einfacher werden (1)
FontShop ist in die Forschung gegangen … Seit rund 13 Monaten nehmen zwei meiner Kolleg/innen aus der Corporate-Font-Abteilung an einem Arbeitskreis teil, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Institut für Deutsche Sprache ins Leben gerufen wurde. Die Mannheimer Sprachwächter beheimaten eine Abteilung in ihrer Burg, die sich schlicht Pragmatik nennt, und das aktuelle gesprochene Deutsch erforscht. Ihr Leiter, Prof. Dr. Arnulf Deppermann, beklagt in der Online-Zeitschrift Gesprächsforschung immer wieder, dass sich das gesprochene und das geschriebene Deutsch stetig »auseinanderleben«. Der Arbeitskreis soll erkunden, ob man diesem Trend nachgeben, ihm entgegentreten oder ihn gar fördern soll.
Ein Beispiel für das Auseinanderdriften von Schreiben und Sprechen ist das sogenannte Türkendeutsch, auch »Kanak-Sprak« genannt, eine Slang von der Straße, den gebildete Muttersprachler vor allem aus der Comedy kennen: »Hey mann, isch geb dir konkret handy« (Mundstuhl, Erkan + Stefan, Kaya Yanar, …). Es handelt sich nicht um eine Lehrsprache mit Grammatik und festem Wortschatz, sondern um eine schnelllebige, ethnisch verwurzelte Mischsprache. Die Linguistik spricht von ethnolektaler Varietät: ein Beispiel aus den 60er Jahren »Giovanni scho weisse wie schweisse« (etwa: ›Ich, Giovanni, weiß schon, wie man schweißt‹). Typisch für den heute aktuellen Türkenslang: Präpositionen und Artikel fallen weg, das neutrale grammatische Geschlecht wird generalisiert und bestimmte deutsche und türkische Wörter überdurchschnittlich bevorzugt: lan, langer, konkret, isch schwör, siktir lan (»verpiss dich«).
Aus dem technischen Bereich (SMS, Foren, Chats) kennen wir den Hacker Slang (eine ausführliche Abhandlung und die historischen Hintergründe dazu im Jargon File). Da sich diese Sprache nicht vom gesprochenen Wort, sondern aus dem Geschriebenen herleitet, gibt es einen ausgeprägten Hacker Writing Style. Dazu gehört, dass LAUTER TEXT AUSSCHLIESSLICH IN VERSALIEN GESCHRIEBEN WIRD. Es gibt auch Satzzeichen, die *zur Betonung* eingesetzt werden oder um einen <peng> Sound-Effekt zu simulieren. Sogar Nicht-Nerds sind die Emoticons inzwischen bekannt ;-) … und fast jeder kennt auch die wichtigsten Abkürzungen des Internet-Szene: LOL (loughing out loud), ROFL (rolling on the floor laughing) oder IMHO (in my humble opinion); die französische Version von LOL ist übrigens mdr (mort de rire = totgelacht).
Zurück zur Expertengruppe. Prof. Deppermann forscht an der Schnittstelle zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Er suchte für den runden Tisch einen Partner, der einen Beitrag leisten kann zur Auswirkungen bzw. Transformierung neuer Sprachtendenzen auf Schrift und Typografie. Er sprach mit unter anderem mit Erik Spiekermann, der wiederum holte sich Verstärkung bei FontShop.
Am kommenden Montag wird der Arbeitskreis mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit gehen (Pressekonferenz, 11:00 Uhr, Presse- und Informationsamt). Mir wurde gestattet, bereits im Vorfeld ein paar Fakten im Fontblog zu diskutieren (»… spiel mal den Versuchsballon!« Erik Spiekermann), wozu auch die (kostenlose) Veröffentlichung eines neuen Fonts von Spiekermann gehören wird, mit dem die Umsetzung der Theorie in die Praxis zum Kinderspiel werden könnte. Bald mehr dazu.
20 Kommentare
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Sascha Broich
Wenn intelligente Menschen anders sprechen als sie schreiben und merk- aber fragwürdige Begriffe benutzen, dann ist das für sie selbst kein Problem. Für ungebildete Leser oder Zuhörer, die das »cool« finden, allerdings schon. Die Jugendsprache der 70er (dufte, stark, knorke, Fete) war harmlos und hat das Sprachgerüst eigentlich nicht verändert. Wenn man allerdings heute deutsche Jugendliche kanakisch sprechen hört und sich ihre Texte ansieht, dann mache ich mir ernste Sorgen, dass dieser schon lange anhaltende Trend überlebt und die deutsche Sprache nachhaltig verfremden wird.
Ähnlich ist es mit der schleichenden Verdenglischung der Sprache (einmal mehr, für den Moment, wie kann ich Ihnen helfen usw.). Für unsere Großeltern klingt das bereits sehr fremd.
Ich fände es sehr schlimm, wenn sich die Sprache dauerhaft einem Trend unterwirft, der schlechtes Deutsch herumstreut.
Da lob’ ich mir doch mittlerweile die Franzosen, die Wert auf ihr hohes Gut Sprache legen. Hierzulande wird sowas ja immer noch als Deutschtümelei abgetan, wenn man sich für seine Sprache engagiert.
Thierry
Ich habe das gefühl dass ALLES IN GROSSBUCHSTABEN immer mehr von _dieser hervorhebung_ ersetzt wird. durch die immer grösser werdende web-typografie (was ich sehr begrüsse) sind sätze in all-caps einfach zu stark hervorgehoben – meine meinung. _das_ jedoch fällt erst während des lesens eines satzes auf, erfüllt also lesetechnisch ähnliche funktionen wie kursiv hervorgehobene wörter. *das* hingegen sieht für mich immer aus als sitze ein kind auf der anderen seite.
insgesamt finde ich diese arbeitsgruppe eine gute sache. schriftsprache sollte sich an der mündlichen orientieren (wie im englischen seit jahrhunderten geschehen, soweit ich weiss), wobei schon ein gewisses niveau gehalten werden sollte.
dass das geschlecht im deutschen z.b. von vorn herein erkennbar ist (im gegensatz zum englischen) sehe ich als grossen vorteil in der verständlichkeit. »Her friend was there, too« enthält weniger informationen als »Ihre Freundin war auch dabei«.
Jürgen
Klar, will man vorher wissen, ob sie alleine kommt oder ihren Freund im Schlepptau hat. Noch besser: Wenn die Ladies zu zweit aufkreuzen …
Mario Donick
@ Tierry:
Die Hervorhebung durch _Unterstriche_ kam schon im USENET vor (bzw. wird dort immer noch angewandt). Newsreader machen daraus häufig eine Unterstreichung.
Inflektive, das sind oft transitorische Handlungen (also die in Asterisken, d.h. * eingeschlossenen Teile), werden keineswegs nur von Kindern verwendet, sondern sind eine wichtige Möglichkeit, der Kanalreduktion entgegenzuwirken.
Mario
hef
Dabei ist es doch schon viel später!
Die „Zurich Versicherung AG (Deutschland), ,ADAC-Auto-Versicherung‘, Frankfurt“ teilte letztes Jahr mit, dass sie sich irgendwie zusammengeschlossen hätte. Das Interessanteste an dem Schreiben ist aber das PS.:
Mit der Zusammenführung der Gesellschaften konzentrieren wir uns verstärkt auf die international erfolgreiche Marke „Zurich“. Dies macht sich jetzt auch in der Schreibweise bemerkbar, denn wir verzichten zukünftig beim Gesellschaftsnamen auf die im deutschen Sprachgebrauch üblichen Ü-Punkte.
Bravo! Das ist der langst fallige Beginn einer wirklichen Reform, der nach allen uberflussigen Reformchen endlich revolutionare Veranderungen ermoglicht: Tastaturen konnten verkleinert werden, Rechtschreibprufung wird einfacher, die deutsche Sprache/Schreibe wurde endlich zu internationaler Große erbluhen. Eine verbluffende Losung!
Mussen wir befurchten, dass solcher Blodsinn in Kurze willfahrige Nachahmer begeistern konnte?
Thierry
das ß würde dann aber ganz bestimmt auch wegfallen, hef ;)
mario: danke für die berichtigung. als 85er-jahrgang bin ich um 96 ins internet gekommen, also zu einer zeit als schon viele foren entstanden und usenet nicht mehr der haupthorst für diskussionen war.
meine aussage bezüglich *dieser hervorhebung* war weniger ernsthafte aussage als ausdruck meiner eigenen empfindung dazu.
Franoukwel
Ach ja, wie wirbt die «Zurich» noch gleich: «Because change happenz» … noch Fragen? :-/
thomas
FANTASHIP
Martin
Thierry du wirst lachen, aber die schweizer Eidgenossen machen das mit dem ß!
Über den Beitrag von hef hab ich mich sehr amüsiert, danke dafür.
Sascha Broich
Noch ne Unart in der Öffentlichkeit:
alle substantive klein zu schreiben zeugt von wenig respekt gegenüber seinem leser und ist auch nicht schöner, als sich RESPEKT DURCH GROSSBUCHSTABEN zu verschaffen. Seit SMS leider auch ein Phänomen des Internet. Behindert es den Gedankenfluß wirklich so stark, wenn man sich die Zeit nimmt, die Hochstelltaste zu betätigen?
thomas
naja, ich schreibe im netz soweit alles klein. eigennamen aber dann schon groß. ist also gezielt. ich denke jedoch, dass das geht mit der lesbarkeit. sind ja keine romane, die abgearbeitet werden müssen und es gibt ja noch andere faktoren, die das lesen beeinflussen.
Sebastian Gruber
ich finde, es kommt drauf an, was/wo man schreibt. wenn ich einen text für eine website schreibe (also nicht wie hier nur einen kommentar), oder was anderes „offizielles,“ dann schreib ich groß und auch sonst grammatisch usw. möglichst korrekt. in chats, foren und ähnlichen bleib ich dagegen meistens bei kleinbuchstaben.
Harki
Hm, ich finde es einfach klasse, daß es diese kleinen subtilen Unterscheidungen gibt: „Hier schreibe ich mal richtig [wenn ich denn kann], dort eben so, wie es mir gerade in den Kopf kommt.“
Danach kann man die Leute auf den allerersten Blick sehr gut einsortieren: Herr oder Knecht?
Das ist übrigens auch ein sehr erfreulicher Aspekt der „neuen Rechtschreibung(en)“ – wer sie verwendet, ist halt von vorherein ein Hansel. Man sieht an einem einzigen Satz, wohin jemand gehört. (Das ging zwar früher auch mit ein bißchen Übung, war aber nicht ganz so einfach.)
thomas
und was hast du dann davon harki?
sebastian: ja, so meinte ich das. offizielle texte im rahmen meiner orthographischen und grammatiklaischen möglichkeiten ;-)
Thierry
du wirst lachen, aber ich bin schweizer und somit bestens mit unserer abneigung gegenüber diesem komischen buchstabenmonster ß vertraut. ich hatte noch nie das bedürfniss, diesen zu benutzen und werde es wohl auch nie haben, da wir hier auch ohne dieses monstrum «korrektes deutsch» schreiben.
Mario Donick
Sascha (Beitrag 10),
vielleicht zeugt die kleinschreibung nicht von „kein respekt“, sondern ist bei manchem (bei mir zumindest) auch ein statement. immerhin wurde die abschaffung der großschreibung der substantive (außer am satzbeginn und bei eigennamen) auch schon öfter von diversen reformern in betracht gezogen.
Andreas Frohloff
Ein gar nicht so seltenes Beispiel für »Angst vor dem Unbekannten«, das Unbekannte wird dämonisiert, das erspart dann weitere Beschäftigung damit … ;-)
Wolfgang Strack
Ich mag die Begriffe Türkendeutsch und Türkenslang überhaupt nicht. Der Begriff legt den Schluß nahe, es sei den meisten Türken nicht möglich richtig deutsch zu sprechen. Tatsache ist: der angesprochene Slang wird von Leuten gesprochen, die nicht richtiges Hochdeutsch, aber auch nicht richtig Hochtürkisch sprechen. Es ist also ein deutscher Slang, als Ausdruck der eigenen Identität, die nicht mehr türkisch ist – aber auch von deutscher Seite noch nicht als deutsch akzeptiert wird. Daher die übertriebene Stilisierung der im Schriftdeutschen – und im Schrifttürkischen – „falschen“ Ausdrücke.
Christoph Päper
Dass Dauerkleinschreiber (außerhalb von SMS und ICQ) Egoisten sind, deren Beiträge man sich getrost sparen kann, ist eine Binsenweisheit.