Das organisierte Imageproblem, oder …
Warum engagieren sich eigentlich so wenige deutsche Designer für und jenseits ihres täglich Brot?
von Johannes Schardt und Christophe Stoll (precious-forever.com)
Seit einiger Zeit verspüren wir das Bedürfnis, unserer Profession, die wir seit zehn Jahren ausüben, etwas zurückzugeben und unseren Teil dazu beizutragen, dass der Beruf des Gestalters mehr soziale, gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Relevanz erlangt.
Gute Arbeit abliefern, Artikel publizieren, Lehraufträge annehmen, Praktikanten ausbilden, Workshops durchführen, Vorträge halten, seine Fähigkeiten für wohltätige Belange einsetzen… es gibt viele Dinge, die jeder einzelne neben seiner alltäglichen Arbeit als Gestalter tun kann, um sein Fach zu unterstützen.
Eine weitere Möglichkeit ist das Engagement in größeren Gruppen und Organisationen, sei es nur durch eine Mitgliedschaft oder durch aktive Mitarbeit. Beides war für uns vorstellbar und so informierten wir uns über die verschiedenen Zusammenschlüsse, die es in Deutschland gibt.
Ein kurzes Nachfragen in unserem direkten Umfeld ergab, daß kein Designer Mitglied in irgend einem Verband ist. Manche wussten überhaupt nichts konkretes über AGD, BDG und Co., andere hatten sehr klare Meinungen dazu. Leider keine positiven (»angestaubt, langweilig, bringt nix«).
Beim Sichten der Websites und des angeforderten Infomaterials mussten wir feststellen, daß auch wir uns überhaupt nicht angesprochen fühlten. Thematische Schwerpunkte, Ansprache und nicht zuletzt die gestalterische Umsetzung wirkten auf uns alles andere als einladend. Von einem Designverband hatten wir etwas mehr kreativen Geist erwartet als von der Bäckerinnung.
Nicht nur uns und unseren Bekanntenkreis scheinen die Verbände nicht überzeugen zu können. Denn wie Henning Krause, Präsident des BDG, am 11. Juli 08 auf dieser Seite kommentierte: »Vor diesem Hintergrund möchte ich (mal wieder) darauf verweisen, daß lachhafte 5% der Designer Deutschlands es für nötig befinden, in einem Berufsverband Mitglied zu sein.«
Tatsache ist, dass wir die Relevanz für solche Organisationen durchaus sehen. Dennoch zögern wir mit einem Beitritt. Vielleicht weil es ein Imageproblem gibt? Und selbst wenn viele Designer die Wichtigkeit solcher Verbände erst gar nicht erkennen, bedeutet das nicht letzten Endes, dass es ein Kommunikationsproblem gibt?
Ist es nicht paradox, dass Berufsverbände, die sich mit Kommunikationsdesign befassen, ihre Botschaft nicht vermittelt bekommen? Oder nicht in der Lage sind, ein Bild von sich zu zeichnen, das die ihresgleichen anspricht?
Wenn ein deutscher Verband auch nur halbwegs so rüberkommen würde, wie z. B. die amerikanische AIGA, dann hätten wir schon längst den Mitgliedsbeitrag überwiesen.
Wie wichtig sind Dir die deutschen Design-Organisationenen? Hier geht’s zur Umfrage …
Schuld und Bühne, oder …
Warum die Eitelkeit mancher Designer uns allen dient
von Johannes Erler (Factor Design; Foto: Bruno Passigatti)
Ich bekenne mich schuldig! Schuldig, der Eitelkeit, der Vetternwirtschaft, der Angeberei und des Neids. Denn ich nehme an Wettbewerben teil, gewinne jede Menge Preise und werbe dann auch noch für unser Büro damit! Ich bin auch in ganz vielen Jurys … und so kommt dann, man weiß das ja genau, eins zum anderen. Und wenn ich gefragt werde, etwas zu sagen oder zu schreiben, dann mach ich das auch gleich, weil es gut für mich ist. Ich bin ein ›selbstverliebter Designerarsch‹, tuschelt man hinter vorgehaltener Hand, aber das ist mir wurscht, Hauptsache der Laden brummt und ich werde zu Preisverleihungen eingeladen.
Kollege Hickmann ist auch so ein Gockel, eine richtige Rampensau! Und Spiekermann ist der Allerschlimmste, der hat zu allem was zu sagen, auch wenn niemand das wissen will. Oder, hier: Sagmeister … oh Gott, der lässt nun wirklich kein Podium aus. Obwohl … der ist auch richtig gut, der darf das. Wie Brody, der Flüsterer, das soziale Gewissen des Grafikdesign. Schon mal darüber nachgedacht, dass der Mann eine perfekte PR-Maschine ist? Wofür ich ihm übrigens verdammt dankbar bin, denn kaum ein anderer hat unseren Beruf im öffentlichen Ansehen der letzten 20 Jahre mehr gestärkt.
Wo wird da nun die Grenze gezogen? Wann hat man einen Preis verdient und wann nicht? Wann ist man eitel und wann dient man der Sache? Können wir uns nicht auch mal bei denen Bedanken, die die Qualität besitzen und die Courage haben, das, was uns wichtig ist – nämlich gutes Kommunikationsdesign – in die Öffentlichkeit zu tragen? Wann hilft man allen, wann nur sich selbst?
Meine Antwort kommt aus dem Bauch. Parameter für richtig oder falsch gibt es nicht. Und damit wohl auch kein Ende der Diskussion. Irgendwie hat man im Gefühl, dass da jemand zu weit geht und dann sagt man ihm das, kurz und knapp. Kann mal passieren (die meisten sind übrigens eher dankbar für so einen Hinweis). Klar gibt es Wiederholungstäter, Profilneurotiker, Egomanen, aber die entlarven sich doch über kurz oder lang von ganz allein. Und schaut mal bitte genau hin: viele von denen, die besonders gern gedisst werden, liefern in der Regel richtig gute Arbeit ab. Und zwar kontinuierlich. Besteht da ein Zusammenhang? Ist es doch nur Neid?
Das deutsche Wettbewerbswesen ist krank – OK, eine ganz andere Diskussion. Trotzdem bleibt es einer der wenigen Kanäle, über die man überhaupt auf sich aufmerksam machen kann. Und es funktioniert. Mein Büro ist das beste Beispiel. PR in eigener Sache ist schwierig in der Branche. Zu viele Schaumschläger beschädigen kontinuierlich das Ansehen unseres Berufes. Jeder ist ein Designer. Design ist austauschbar, ist Oberfläche, ist Verzierung, braucht eigentlich niemand. Das ist natürlich Quatsch, aber es ist so mühsam, Deutschland und die Welt vom Gegenteil zu überzeugen. Nur: Dafür muss man manchmal ein bisschen mehr Wind machen, denn von nix kommt nix.
Ich gratuliere also jetzt schon dem Designer, der unserem Bundespräsidenten als erster die Hand schütteln darf. Und sage voraus, dass genau dieser Designer fortan ein echtes Imageproblem in der Branche haben wird. Wetten?!
PS: wir haben mit Factor Design gerade wieder vier Auszeichnungen beim Deutschen Preis für Corporate Design gewonnen. Super, oder?
Die Macht der Normung, oder …
… Brauchen wir Standards im Design?
von Thomas Ries, Köln
»The nice thing about standards is that you have so many to choose from.« *
Dezember 1998. Die Raumsonde Mars Climate Orbiter macht sich von Cape Canavaral aus auf den Weg. Ihr Ziel: eine Umlaufbahn in 150 km Höhe über der Marsoberfläche. Leider fand man die Sonde nicht wieder, als sie nach der ersten Umrundung den Funkschatten des Planeten eigentlich hätte verlassen haben sollen. Sie war in der Atmosphäre verglüht.
Bei Wikipedia ist zu lesen, der Unfall sei auf ein Missverständnis zwischen der NASA und dem Hersteller der MCO-Navigationssoftware zurückzuführen gewesen: Wo die einen den Schwung der Sonde metrisch berechneten, benutzten die anderen das imperiale System. Die einen bestimmten den marsnächsten Punkt mit 150 km, die anderen mit 57 km Marsentfernung. Einer Höhe, in der die Marsatmosphäre bereits so dicht ist, dass der Orbiter darin zerschmolz.
Das Thema, das ich heute eigentlich anstoßen wollte, ist die meiner Meinung nach äußerst fragwürdige Legitimation der Gremien und Konsortien, die technische Normen verabschieden, und damit zwangsläufig ebenfalls die Legitimität der technischen Standards selbst. Vernunft scheint dabei nicht unbedingt eine Rolle zu spielen. Stattdessen institutioneller Ordnungswahn sowie Macht- und Marktkalkül.
Dann allerdings erinnerte ich mich an die MCO-Episode, die in ihrer Absurdität hoffnungsstiftend wirkt: Die technische Norm, die die Welt berechenbar und sicher machen soll, führt schlussendlich ins Chaos, weil der Nutzer der Norm nicht normierbar ist. Chapeau!!
* Andrew S. Tanenbaum, Informatikprofessor an der Freien Universität Amsterdam
(Abbildung: Christian Peter Wilhelm Beuth und Wilhelm von Humboldt, Standbild vor dem Deutschen Institut für Normung, Berlin
FFFFUCK OFFF … oder:
Warum ffffound.com das Gehirn der Designer verklebt
von HD Schellnack
Ich kann ffffound.com nicht mehr sehen. Ich glaube inzwischen, die Site (und ihre endlosen Nachahmer) ist ein Kreativitätskiller erster Güte. Sicher, anfangs schien ffffound eine großartige Idee zu sein: der Web-2.0-Gedanke, die Community-Idee, die Flut an tollen Bildern. Ruckzuck ist der Tag um, während man auf Photos starrt, Illustrationen, Plakate, Broschüren, T-Shirts und eigentlich alles, was man irgendwie gestalten kann.
Genau diese Flut ist das Problem. Wenn ich Studenten eine Aufgabe stelle, schmeißen sie zuerst Google an. Design by Google heißt: Einen Begriff eingeben, der mit der Aufgabe zu tun hat, und die Bildersuche so lange durchfrosten, bis sich eine Inspiration einstellt. Wenn Werber eine Kampagne planen, durchforsten Sie Online-Bildarchive, um sich Anregungen zu holen. Als ob wir nicht schon genug mit Second-Hand-Eindrücken …
WeiterlesenDesign und Forschung, oder …
Kann, soll, darf Wissenschaft als Schutz vor dem Scheitern dienen?
von Roman Holland, Konstanz
An der HTWG Konstanz (Fakultät Architektur und Gestaltung) werden Grenzen durchbrochen. Vor einer Woche stellten sich Prof Dr. Michael Erlhoff und Prof. Dr. Uta Brandes (International School of Design, Köln) dem Thema »Design als komplexe Kompetenz«.
Ausgehend von der Bedeutung internationaler Design-Konferenzen und -Initiativen sowie den Bemühungen der Hochschulen, zusammenhängend mit der Umstellung auf die Bachelor/Master Abschlüsse, zeichnet sich folgendes ab: Design wird verwissenschaftlicht. Es gibt Design-Hochschulen, die ihre Masterprogramme ganz der Forschung widmen.
Design und Forschung: können diese zwei Begriffe überhaupt zueinander finden?
Wenn sich Design als eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin emanzipieren soll, tauchen Fragen auf wie:
Kann Design aus sich heraus Fragestellungen formulieren, die unsere ethischen Vorstellungen ergänzen oder gar ersetzen? Ist Design nicht eher eine Dienstleistung, die teilweise mit künstlerischem Können, intuitiven Bauchentscheidungen und zu guter letzt gutem Präsentieren/Verkaufen zu tun hat? Oder dient der wissenschaftliche Ansatz eher dem Schutz vor dem Scheitern als Designer. Hat die Designforschung das Potential, eine bessere Welt zu schaffen?
»Besser ohne professionelle Kreative …«. Warum?
Es scheint in unserer Gesellschaft ein unausgesprochenes Misstrauen gegen ausgebildete Grafikdesignerinnen und -designer zu geben. Sicherlich müssen auch andere Berufsgruppen für das Ansehen ihrer Arbeit kämpfen. Wenn Laien ihre Wohnzimmer selbst tapezieren oder die Haare vom Nachbarn schneiden lassen, sind hierfür zwei treibende Kräfte verantwortlich: Sparsamkeit (um nicht wieder das Wort »geiler Geiz« zu strapazieren) und eine Missachtung bzw. Zweifel gegenüber der Leistung eines gelernten Handwerks.
Dass diese Vorbehalte inzwischen ganz offen das Private verlassen muss nachdenklich stimmen. Da lässt sich eine Hamburger Markenberatung von gestalterischen Laien per Umfrage bescheinigen, dass das neue Siegel der Stiftung Warentest nichts tauge (Fontblog berichtete). Und am selben Tag gibt die Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur bekannt, dass man das Logo zum 20. Jahrestag des Mauerfalls lieber von einem Mitarbeiter habe zeichnen lassen als von einer »teuer bezahlten Agentur«. Welt Online schließt gleich daraus: »Manchmal geht es besser ohne professionelle Kreative.«
Freilich schwingt bei dem politischen Beispiel noch ein anderes, viel tiefer sitzendes Misstrauen mit. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Ratsvorsitzende der Stiftung Markus Meckel hat nicht verwunden, dass der ehemalige Vereinigungsgegner Oskar Lafontaine irgendwann Mitte der 90er Jahre im Bundestag sowohl die eigene Meinung als auch die Realität verdrehte, als er davon sprach, dass »die Einheit Millionen Ostdeutschen die Freiheit brachte«. Meckel: »In Wirklichkeit war es umgekehrt: Die Freiheit, die sich die Menschen in der DDR friedlich erkämpften, führte zur Einheit.«
Zurück zum Kommunikationsdesign. Wie die Maler und Friseure müssen ausgebildete Grafiker mit der Tatsache leben, dass ihnen Laien im Land, die einen Pinsel halten/eine Schere bedienen/einen Computer einschalten können, in die Quere kommen. Also müssen die Profis ihre Leistung transparenter darstellen, besser verkaufen, leidenschaftlicher verteidigen. Und sie müssen den Finger in die Wunde legen, wenn irgendwo Stroh zu Gold geredet wird. Wie zum Beispiel das 20-Jahre-Logo der Stiftung für Aufarbeitung.
»Mangelhaft« für neues Warentest-Siegel oder …
… Wie sinnvoll sind Designbefragungen beim Verbraucher?
von Fontblog, Berlin
Vor einem Monat haben wir im Fontblog das Redesign der Stiftung Warentest diskutiert (Stiftung Warentest mit neuem Corporate Design), das aus Sicht der Experten »gewöhnungsbedürftig«, »mutig« aber auch als »professionell« bewertet wurde. Nun hat sich die Hamburger Brandmeyer Markenberatung das überarbeitete Testsiegel vorgenommen, das in Zukunft die Verpackungen »guter« Produkte tragen sollen. Dazu führte man eine Umfrage unter 1000 Verbrauchern durch, also Design-Laien (das Testergebnis als Word-Datei). So gesehen überrascht es nicht, dass »nur 15 Prozent den neuen Entwurf seriöser, vertrauenswürdiger und überzeugender« finden. »Mehr als 75 Prozent plädieren für das alte Zeichen.«
Hätte man vor 5 Jahren 1000 Bürger gefragt, ob sie die neuen Euroscheine seriös, vertrauenswürdig und überzeugend fänden, das Ergebnis wäre ähnlich »mangelhaft« gewesen. Eine »Markenberatung« sollte berücksichtigen, dass man sich die Attribute »seriös«, »vertrauenswürdig« und »überzeugend« verdienen muss. So gesehen kann ein neu vorgestelltes Design, eine neue Marke, ein neues Produkt in diesen Punkten nie gegen ein seit Jahrzehnten eingeführten Design/Marke/Produkt bestehen. Verbraucher reagieren unsicher darauf … (Abbildung: Brandmeyer)
Design vs. Dekoration, oder …
… Lasst uns die Spreu vom Weizen trennen!
von Jeffrey Zeldman, Happy Cog Studios, New York
»Content precedes design. Design in the absence of content is not design, it’s decoration.«
Den heutige Anstoß für den Streittag verdanken wir dem Twitter-Kosmos (und Philip von Winterfeldt, der’s aufpickt hat). Twitter ist ein spannendes soziales Netz, in dem Mitteilungen in SMS-Länge ausgetauscht werden, wahlweise vom Schreibtisch aus oder mobil per Handy/Blackberry/iPhone – also die ideale Fundgrube für Zitate.
Am 5. Mai um 16:48 Uhr Ortszeit twitterte der angesehene New Yorker Webdesigner Jeffrey Zeldman seinen 5.500 »Verfolgern« den oben zitierten Satz ins Ohr: »Design setzt Content voraus. Design in Abwesenheit von Content ist kein Design, es ist Dekoration.«. Zeldman’s Online-Veröffentlichungen gelten als Pflichtlektüre für Webdesigner: sein Blog Jeffrey Zeldman Presents, A List Apart, An Event Apart und natürlich sein Twitter-Tagebuch.