Fontblog Artikel des Jahres 2009

Crashkurs: Schriften am Mac verwalten [Update]

Fonts_aus_screen

Einige Kommentare zur Ankündigung des Fontmanagers FontCase bestä­tigen, dass die Organisation der Fonts unter Mac OS X kompli­zierter ist, als manche Benutzer ahnen. Darum schreibe ich mal kurz aus eigener Erfahrung auf, wie ich meine Schriften sortiere und verwalte.

Eines vorweg: Manager wie Font Explorer X oder FontCase können nur das Fontmilieu verwalten, das sie auf einem Mac vorfinden. Sie sind keine Reinigungsdienste. Wo Fontchaos herrscht wird auch unter einer Schriftenverwaltung Fontchaos bleiben. Der ersten Benutzung eines Fontmanagers sollte unbe­dingt ein Hausputz vorausgehen.

Wo liegen die Mac-OS-Schriften?
Es gibt (mindes­tens) 3 Fonts-Ordner, die das Mac-Betriebssystem bei der Installation anlegt und mit Font-Dateien befüllt:
1. Macintosh HD/System/Library/Fonts: Finger weg davon, das Mac-OS braucht sie alle.
2. Macintosh HD /Library/Fonts: Fonts für alle User dieses Macs
3. User (Ich) /Library/Fonts: die Fonts des ange­mel­deten Users

Wer mit Adobe-Programmen arbeitet, die mit Hunderten von Schriften gelie­fert werden, findet diese in:
4. User (Ich)/Library/Application Support/Adobe/Fonts

was für gehö­rige Verwirrung sorgen kann, weil diese (meist uner­wartet) bei Adobe-Programmen im Schriftmenü erscheinen, nicht aber in anderen Applikationen.

Sind Schriften inner­halb eines Netzwerks frei­ge­geben, liegen diese auf:
5. Network/Library/Fonts
Hier kann eine für das gesamte Büro lizen­zierte Font-Bibliothek liegen, was sicher­stellt, dass an allen Arbeitsplätzen mit den glei­chen Schriften gear­beitet wird.

Erst mal selbst Ordnung schaffen
So schön das ist, wenn man von Apple oder Adobe Fonts geschenkt bekommt, so konfus ist es, wenn diese nicht gebraucht werden, in versteckten Ordnern liegen und das Fontmenü zuge­müllt wird. Daher sortiere ich nach eine OS-X-Neuinstallation erst mal die guten Schriften ins Töpfchen, die schlechten Schriften ins Kröpfchen. Diese Aktion findet nur in den Orten 2. und 3. statt (die Behandlung des Adobe-Font-Ordners muss jeder für sich selbst entscheiden; Großfamilien lassen sich meist problemlos deak­ti­vieren, andere Fonts werden mögli­cher­weise von Templates oder vorde­fi­nierten Stilen in den Applikationen angefordert).

Zwecks Systemfonthygiene lege ich neben die beiden Fonts-Ordner zwei Abfallordner mit dem Namen »Fonts (Aus)« an, in die ich die für mich wert­losen Schriften hinein­lege, fast Dreiviertel der von Apple gelie­ferten (vgl. Abbildung oben). Dazu gehören sicher nicht Arial, Verdana und Georgia, aber z. B. Academy Engraved, Blackmoor, Big Caslon, Cochin, Impact, Papyrus und viele, viele mehr. Die Femdsprachen-Fonts (Thai, Chinesisch, …) lasse ich unan­ge­tastet, weil sie in den meisten Schriftmenüs gar nicht auftau­chen. Wer mit diesen Sprachen nicht arbeitet, kann auch hier gefahrlos ausgemisten.

Nach dieser Entschlackungskur gebe ich allen verblei­benden Schriften in den beiden Ordnern Macintosh HD /Library/Fonts und User (Ich) /Library/Fonts ein buntes Etikett. So kann ich bei einem Systemupdate, das mir den aussor­tierten Fontmüll wieder neu in die beiden heiligen Ordner lädt – jedoch uneti­ket­tiert –, schnell wieder aussortieren.

Wo meine eigenen Schriften liegen
Die Schriften, die mir wirk­lich wichtig sind, nämlich die lizen­zierten Fonts für meine Jobs, liegen in einem Ordner, der »Schriften« heißt (besser nicht »Fonts« nennen, damit er außer­halb der Beobachtung des Mac OS bleibt), wo sie in Foundry-Ordnern zu finden sind: Adobe, Bitstream, Emigre, FontFont, House und wo weiter.

Um mit diesen zu arbeiten, sollte man sie – laut Apple – entweder in den Ordner Fonts 2 (für alle User des Rechners) oder Fonts 3 legen (nur für mich). Das allei­nige Verschieben in diese beiden Ordner, die perma­nent vom Mac OS über­wacht werden, akti­viert die Fonts und man kann sofort in geöff­neten Programmen mit ihnen arbeiten.

Da einen die Verschieberei der Fontdaten in Ordnungskonflikte bringt (Bewege ich das Original oder eine Kopie davon?) und man durch stän­diges Aktivieren und Deaktivieren irgend­wann den Überblick verliert, bieten sich FontManager an, die diesen Job durch simples An- und Ausklicken erle­digen. Wie bei der iTunes-Musikbibliothek lassen sich auf diese Art Hunderte von Schriften verwalten, akti­vieren und deak­ti­vieren, sortieren und wenn man mag mit eigenen Metadaten versehen, um sie noch schneller zu finden bzw. die eigenen Jobs sicherer zu erledigen.

Wenn Font-Manager ins Spiel kommen
Programme wie Font Explorer und FontCase bieten sich für diese Aufgabe an. Meist fragen sie bei ersten Starten, wie tief sie ins System eindringen sollen. Bei FontCase sieht das so aus:

fontcase_start_screen

Das Programm weist darauf hin, dass es die Systemschriften verwalten kann (Fonts-Ordner 1, siehe oben), die Fonts für alle User oder nur die des ange­mel­deten Users. Wer FontCase nicht traut, sollte einen Probelauf alleine mit den eigenen Schriften durch­führen und ledig­lich »Import User Fonts« ankli­cken. Andere Fonts-Ordner können später impor­tiert werden.

Das Angebot von FontCase, die FontExplorer X-Library zu impor­tieren kann, kann nur funk­tio­nieren, wenn man sich zuvor vom FontExplorer ordent­lich verab­schiedet hat, also erst mal alle über den FEX akti­vierte Schriften deak­ti­viert wurden. Beide Programme gleich­zeitig Fonts verwalten zu lassen stiftet garan­tiert Verwirrung.

Wer bereits mit einer früheren (Test-)Version von FontCase herum­ge­spielt hat, dem empfehle ich, die bishe­rige Liebelei mit dem Programm spurlos zu löschen, weil die von FontShop vertrie­bene Version 1.1.6 zuver­läs­siger arbeitet als die 1.0. Das geschieht in drei Schritten:
1. Alle über FontCase akti­vierten Schriften – in FontCase – deaktivieren
2. Das FontCase-Gedächtnis löschen, also den Order User (Ich)/Library/Application Support/Fontcase.
3. alte FontCase-Version löschen

Mein persön­li­cher Rat wäre: Wenn FontCase, dann Neuanfang, um die Font-Verwaltung-Infrastruktur auf dem eigenen neu aufzu­bauen, also weder Import der Fex-Library, noch Import aller auf dem Rechner vorhan­denen System- und/oder Lizenzschriften.


Mac-Fontmanager ›FontCase‹, jetzt bei FontShop

fontcase_icon_128 Neu bei FontShop: Der von Apple ausge­zeich­nete OS-X-Fontmanager FontCase. Wir haben ihn mit dem Entwickler Pieter Omvlee (Bohemian Coding, Interface-Design: Laurent Baumann) weiter­ent­wi­ckelt und die Vertriebsrechte erworben, um FontShop-Kunden welt­weit direkt und günstig zu belie­fern. Wer iTunes oder iPhoto mag, wird FontCase lieben, denn es bietet das gleiche Look-&-Feel. Lest die kurze Einführung oder ladet die Testversion, die eure FontExplorer-Library impor­tieren kann. Lizenzen zum Einführungspreis (ab 29 €) ab morgen auf beta​.font​shop​.de.

Vor der Arbeit mit FontCase empfehle ich die Lektüre des Crashkurses Schriften am Mac verstehen und verwalten. Systemvoraussetzung für FontCase: Mac OS X 10.5 Leopard.

flexibel Fonts verwalten mit FontCase

Der Macintosh wird zwar …

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Viermal Gold beim 12. Corporate Design Preis

messkunst_cdp

Es sind durchweg mutige Konzepte, die beim dies­jäh­rigen Corporate-Design-Preis ganz vorne liegen und die Zustimmung der Jury fanden. Auf der Liste der vier Award-Gewinner stehen für den Bewertungsbereich Launch/Unternehmen das für den Gestalter von Arbeitswelten Messkunst bei Fuenfwerken entwi­ckelte CD und das für den brasi­lia­ni­schen Minen- und Stahlkonzern Usinimas von Interbrand betreute Projekt, mit dem die Komplexität auch dieser Aufgabe beispiel­haft gelöst wurde.

Beste Corporate-Design-Lösungen für Produkte fand die Jury beim inter­na­tio­nalen Musikprojekt Into des Siemens Arts Program, eine Arbeit von  Jäger & Jäger und bei dem Ausstellungsprojekt  Babylon, Mythos und Wahrheit (MetaDesign/Johanssen + Kretschmer). »Mit der Vergabe von ledig­lich 4 Awards und 9 Auszeichnungen erwies sich die Jury erneut als das Gremium, das dem Gütesiegel ›Excellence  in Corporate Design‹ soli­täre Strahlkraft und seinen hohen Wert sichert«, kommen­tiert Odo-Ekke Bingel (Awards Unlimited) die Juryentscheidung.

Die Shortlist wurde auf 12 weitere CD-Projekte begrenzt, die zusammen mit den Winnern und ausge­zeich­neten Arbeiten Eingang in die Jahresdokumentation Corporate Design 2009 finden werden. Alle Preisträger 2009 …


Warum Verlage auf/mit FontFont setzen sollten

ff_logo_Gestern startet die inno­va­tivste jähr­liche Font-Konferenz, die TypeCon 2009 in Atlanta, USA. Unsere Kollegen von FSI FontShop International, Herausgeber der ange­se­henen FontFont-Schriftbibliothek, bringen eine gute Nachricht für alle Herausgeber elek­tro­ni­scher Dokumente mit nach Atlanta: neue, libe­ra­li­sierte Lizenzbedingungen für die FontFonts.

Ab sofort ist es möglich, FontFonts – ohne eine kosten­pflich­tige Zusatzlizenz – in kommer­zi­elle elek­tro­ni­sche Dokumente einzu­betten, zum Beispiel PDFs, ePaper oder eBooks. Eine Grundlizenz reicht für solche Zwecke aus, soweit 3 Bedingungen erfüllt sind, was in 90 % aller Anwendungen gegeben ist:
1. sicheres Format
2. Subsets
3. nicht editierbar

Zu 1.: Sicher meint in diesem Zusammenhang verschlüs­selt, so wie das beispiels­weise Adobe Acrobat vormacht. FontFont-Dateien dürfen nicht auf dem Zielsystem instal­liert und anderen Anwendungen nutzbar gemacht werden. Damit sind Web-Techniken wie @font-face durch eine Grundlizenz nicht abgedeckt.

Zu 2.: Subsets sind eine Untermenge des Zeichenvorrats einer Schrift, die durch das Entfernen der Outlinebeschreibung erreicht wird. Der Leser merkt von diesen Reduzierung nichts, denn  Subset = alle im Dokument verwen­dete Zeichen.

Zu 3.: Nicht editierbar bedeutet, dass mit einer FontFont-Grundlizenz keine Dokumente mit einge­bet­teten Schriften erstellt werden dürfen, die von Dritten weiter­be­ar­beitet werden können (z. B. Formulare oder Do-it-Yourself-Drucksachen).


PdW 29: Zeitungsschrift Le Monde, – 35 %

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Schriften fürs Editorial-Design müssen zwei Disziplinen beherr­schen: den Catwalk (groß in Headlines auftrumpfen) und das Tagesgeschäft (gute Lesbarkeit der redak­tio­nellen Texte). Nur wenige Familien beherr­schen diesen Spagat. Le Monde ist eine davon. Es war die Schriftfamilie, mit der ihr Entwickler Jean-François Porchez 1994 bekannt wurde. Er entwi­ckelte sie für die bekann­teste fran­zö­si­sche Tageszeitung, wo sie 10 Jahre (bis 2005) im Einsatz war. Ihr Grauwert entspricht der Times, doch über­zeugt Le Monde mit offenen Formen, einer robus­teren Italic und Kapitälchen.

In dieser Woche kostet die 3-schnit­tige OpenType-Familie nur 100 € statt 140 € (der Rabatt wird erst im Warenkorb ange­zeigt).



»Krieg der Zeichen« — Eine Leserkritik …

… als Antwort auf die Kritikerkritik »Stadtgespräche«
von Friedrich Grögel

Dieses Buch stinkt. Ich weiß nicht, woher das genau kommt, aber es kam mir schon öfter unter: manche aktu­ellen Drucksachen über­ra­schen einen beim Auspacken als erstes durch einen unan­ge­nehmen, beißenden, chemi­schen Geruch.

Dieser erste Kontakt verstimmt das Gemüt, zumal ein Klebchen auf der Schutzfolie stolz »printed in Germany with Love« verkün­dete. Doch auch der zweite Eindruck, der hapti­sche, ist keines­wegs erfreu­lich. Das Hochglanz-Plaste-Hardcover wirkt wie von einem Billigverlag à la »Buchclub« und nicht wie eine Herzensangelegenheit des wich­tigsten deutsch­spra­chigen Verlags für Grafik und Typografie.

Da ich auf den Inhalt äußerst gespannt war, hatte ich leider keine Zeit, das Buch auslüften zu lassen und unter­warf mich für einein­halb Tage den schalen Ausdünstungen der 288 Seiten.

Palms, USA

Das erste deutsch­spra­chige Textbuch zur grafi­schen Kultur des öffent­li­chen Raums

In »Krieg der Zeichen – Spurenlesen im urbanen Raum« geht es darum, die grafi­schen und schrift­li­chen Phänomene der Stadt in eine Ordnung zu bringen, zu erläu­tern und zu inter­pre­tieren. Dabei greift Markus Hanzer auf eine über­bor­dende Fülle von Beispielen zurück, die er foto­gra­fisch doku­men­tiert hat. Das Bildmaterial stammt über­wie­gend aus euro­päi­schen Straßen: aus Österreich (der Heimat des Autors), Deutschland, der Schweiz, Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Irland, Norwegen, Italien, Ungarn, Kroatien, Griechenland, und Malta. Viele Fotos sind eben­falls in den USA aufge­nommen. Für Südamerika stehen Vertreter aus Brasilien und Argentinien. Bilder aus der Türkei, Indien, Sri Lanka, Kamboscha, Thailand und Vietnam spielen eine unter­ge­ord­nete Rolle. Der abge­deckte Schriftraum kann letzt­lich mit der Sphäre des Lateinischen Alphabets gleich­ge­setzt werden.

Das Thema ist sicher­lich »Special Interest« und nicht für jeden etwas. Andererseits liegt »Schrift im öffent­li­chen Raum« bereits seit Jahren in der Luft und eine text­reiche, inhalt­liche Auseinandersetzung stand nach einer großen Zahl kleiner Veröffentlichungen im Sinne von Fotoalben und Kuriosa-Sammlungen auf der Tagesordnung. Das wach­sende Interesse ist auch durch die enorme Zahl von Blogs und Websites zum Thema belegt, ebenso wie durch den grafi­schen Trend zum Hand-made der letzten Jahre und die rasant wach­sende Anzahl von Fonts auf der Basis von Handschriftlichkeit, Schriftmalerei und Lettering.

Im deutsch­spra­chigen Raum war ein Werk über­fällig, das für sich bean­sprucht, einen Überblick über die visu­elle Kultur des öffent­li­chen Raums zu geben. Interessierte mussten bisher auf englisch­spra­chige Veröffentlichungen zurück­greifen, etwa auf »Signs – Lettering in the Environment« von Phil Baines und Catherine Dixon oder auch die älteren, zu Unrecht wenig bekannten Standardwerke von Alan Bartram und Nicolete Gray.

Die Stadt als Schauplatz eines andau­ernden Krieges

»Krieg der Zeichen« von Markus Hanzer geht von einem gewalt­tä­tigen Bild aus, das im Großen und Ganzen über das ganze Buch hinweg durch­ge­halten wird : »Dieses Buch versteht sich als Bericht von der Front eines Kriegs der Zeichen und versucht, Beweggründe und Methoden zu beschreiben, die im Kampf um Aufmerksamkeit sichtbar werden. Es erzählt von kleinen Grabenkämpfen und großen Schlachten, von Guerilla-Taktiken, von Siegern und Verlierern.« Der gewählte Vergleich zum Krieg liefert in der Folge viele sprach­liche Bilder für Kapitel- und Seitenüberschriften. So handelt etwa der erste Teil von »Kriegsparteien und Waffengattungen«.

Was unter Waffengattungen zu verstehen ist, begreift man, wenn man die ersten drei Doppelseiten gelesen hat und sich bewusst geworden ist, dass man den Schlüsselbegriff des Abschnitts besser im ersten Absatz sucht als in den Überschriften. Diese neigen leider dazu, durch die Versteigung in eine Metaebene den Gliederungspunkt zu verbergen, statt ihn zu präsen­tieren. Letztlich ist das erste Kapitel eine kleine Mediengeschichte von der Grab- und Monumentinschrift über das Papiergeld, den Brief, das Buch, die Zeitung und das Plakat zum Kino, Fernsprecher, Fernsehen und Internet. Dabei bilden die im öffent­li­chen Raum foto­gra­fierten Zeichen ledig­lich die Folie für einen kriti­schen Mediendiskurs, der, geschult an Naomi Klein (»No Logo! – Der Kampf der Global Players um Marktmacht«, zu finden in Hanzers Literaturanhang), die Welt der öffent­li­chen Zeichen über­wie­gend als ille­gi­time Versuche der Fremdsteuerung des Individuums durch staat­liche und wirt­schaft­liche Mächte darstellt.

Auf die grafi­sche Beschaffenheit, Gestaltungsprinzipien und Kontexte dieser Zeichen wird nicht einge­gangen. Bereits hier fragt sich der Leser, ob ein gestal­tungs­feind­li­cher Soziologe oder ein prak­ti­zie­render Designer zu ihm spricht. Ein Kulturwissenschaftler kann es nicht sein, da die Präsentation der Medien weder Bezug nimmt auf die histo­ri­sche und tech­nik­ge­schicht­liche Situation ihrer Entstehung, noch auf die kultu­rellen Effekte, die die Medien zeitigten: etwa auf die Ausstellung der Gesetze in der Griechischen Polis, die Kultur des Flugblatts in der Reformation oder die Briefkorrespondenzen des 18. Jahrhunderts.

Die Zeichen werden aus einem einzigen, zeit­ge­nös­si­schen und eindi­men­sional-konsum­kri­ti­schen Blickwinkel gelesen und interpretiert.

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Verschiedene Versuche, Ordnung zu schaffen

Im zweiten Teil wird das Material nicht nach Medien, sondern nach formal-stilis­ti­schen Kriterien und Techniken geordnet. Vom Disloziert-Poetischen über das Individualistisch-Handschriftliche zum Standardisierten, vom Offiziellen über das Kommerzielle zum Persönlichen, vom Teuren zum Billigen, vom Handwerklichen zum Industriellen, vom Verwurzelten zum Globalisierten. Wird in diesem Teil die Organisation des Materials inter­es­santer, so gilt dies leider nicht für die Entwicklung der text­li­chen Ebene, die all zu oft auf beschrei­bendem Niveau verharrt oder sich in Allgemeinplätzen ergeht. Dies ist um so bedau­er­li­cher, als die Überschrift dieses zweiten Teils verspricht, zu erklären, »Wodurch Zeichen ihre Macht ausüben«. Diese Frage bleibt im ganzen Buch unbeantwortet.

Im dritten Teil widmet sich der Autor dem »Kampf der Kulturen«. Auf Bildebene werden (haupt­säch­lich) Südfrankreich, San Diego und Amsterdam in die Schlacht geschickt. Auf der Textebene erfahren wir aber nichts über konkrete lokale Differenzen der Zeichenqualitäten sondern werden mit der Existenz von Mechanismen und konsens­fä­higen Regeln der indi­vi­du­ellen geschmack­li­chen Exponierung, mit visu­eller Integration und post­ko­lo­nialer Patchwork-Identität, mit Authentitizität und dem Auslagern von Botschaften an über­ge­ord­nete gesell­schaft­liche Instanzen konfron­tiert, die, wie so vieles, nicht bespro­chen, sondern ledig­lich zur Sprache gebracht werden.

Der vierte Teil »Historische Dimensionen« vereint ein Potpourri von Aspekten in sich, die man grob unter das Thema Zeit stellen kann. Das betrifft öffent­liche Gedenkinschriften (verknüpft mit der Frage nach der Interpretationshoheit über Geschichte), Jahreszahlen an Fassaden, das Anbringen von öffent­li­chen Uhren (mit dem Zweck, den Einzelnen besser zu kontrol­lieren und ohne die Erwähnung der Begeisterung für Mechanik im Barock) und Schriftformen, die zeit­lich und stilis­tisch Epochen zuge­ordnet werden können (Fraktur, »Westernschriften«). Ebenfalls hier einsor­tiert werden die Überlagerung von Schichten, der Zerfall, die Wegwerfgesellschaft und der Dreck. Einen inhalt­li­chen Zusammenhalt über das Oberthema Zeit hinaus gibt es nicht, eben­so­wenig wie die Möglichkeit, das Säbelrasseln des Titels in diesem Kapitel ins Bild zu schmuggeln.

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Ausweitung der Kampfzone

Der fünfte Teil »Raumordnung und Schlachtfelder« holt uns ins Kriegsgeschehen zurück. Es wird über­wacht, verboten und begrenzt. Infrastruktur ergänzt Hierarchie und der Einzelne ist erneut gefangen zwischen den Fronten. Ein falscher Schritt und es droht Versorgungsentzug, Ausgrenzung oder Genickschuss.

Fühlen wir uns bereits gegän­gelt, abhängig und perma­nent geblendet, gibt uns nun der sechste Teil »Kampf um Kunden« den Rest. Auf beacht­li­chen 40 Seiten werden wir mit mannig­fal­tigen Möglichkeiten konfron­tiert, uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wir sind schwach, wir werden verlockt, von Werbung bedrängt und umzin­gelt, suchen Zuflucht in vertrauten Qualitäten (die alten, guten!), dann wieder mit Fastfood gequält, in Hotels einge­la­gert, zu Fitness, Beauty und Lifestyle genö­tigt, von Marken ange­fixt und ausge­saugt, um schließ­lich in den Schlund einer Unterhaltungsindustrie gestoßen zu werden, in der wir so lange Konsumkarussel fahren bis wir uns über­geben und endlich einschlafen, aber natür­lich erst, nachdem wir so richtig schön im Puff waren. Das auffäl­ligste an diesem Kapitel ist sicher, dass vier Doppelseiten Las Vegas gewidmet sind, dem Herz der Finsternis, der Epigone des Kampfes der Industrie gegen das Indiviuum. Es bleibt die Frage, warum Menschen wie du und ich täglich mit unseren Füßen für die Erhaltung dieses Systems abstimmen. Und warum der Autor Mitinhaber einer Agentur ist.

Es folgen zwei Teile zu Informationssystemen und Kollektivem Gedächtnis, deren Tenor einmal mehr lautet: Misstraue den Botschaften, denn oft sind sie böse. Misstraue den Institutionen, denn die wenigsten sind legitimiert.

Interessant wird es dann von Seite 234 bis Seite 245, auf denen es um die »Verteidigung privater Positionen« geht, nämlich um Graffiti und Streetart. Hier wird der Basso continuo des asym­me­tri­schen Kriegs im öffent­li­chen Raum endlich einmal leiser und die Sympathie des Autors für das Eingreifen des Andersdenkenden im Geschrei der Zeichen bricht sich Bahn. Was für eine Wohltat!

Ein biss­chen Frieden

Zum Ende des Buches wird der Ton versöhn­lich, Zeichen der Vermittlung, des Ausgleichs, des Leben-und-Lebenlassens werden gesucht. Zeichen der Gemeinschaft, der Waffenruhe, des Friedens gar. Hier nun wird die Qualität der öffent­li­chen Zeichen auf den Punkt gebracht: »Wo es gelingt, Auseinandersetzungen auf eine Zeichenebene zu über­tragen, müssen wir uns nicht mehr direkt die Schädel einschlagen.« Das Kriegsgeschrei der Zeichen, das uns über 250 Seiten Angst einflößte, bekommt jetzt eine posi­tive Bedeutung. Das kommt eini­ger­maßen über­ra­schend. Dankbar ist man trotzdem.

Im Schlusskapitel »Optische Heimat« verheißen die Bilder (aus Frankreich, Brasilien und Thailand) eine Reflexion über visu­elle Identitäten in Zeiten offener Grenzen für Waren und (viele) Menschen. Leider erfüllt sich diese Erwartung nicht. Stattdessen wird resü­miert, dass die Stadt ein Spiegel gesell­schaft­li­cher Konflikte ist, fest­ge­halten, dass jede Gruppe einer Stadt ihre Zeichen setzen können muss, um sich akzep­tiert zu fühlen, unter­stellt, dass multi­na­tio­nale Konzerne Vielfalt als Markthindernis sehen, repe­tiert, dass das Internet die Welt kleiner gemacht hat und terri­to­riale Grenzen an Bedeutung verloren haben. Aber letzt­lich werden wir »nur im urbanen Raum […] weiterhin mit verschie­denen Zeiten, Kulturen und Zivilsationen konfron­tiert«. Schade, dass genau diese Konfrontation weder aus unter­schied­li­chen Perspektiven beschrieben, noch im Kontext städ­ti­scher Räume analy­siert wird.

San Francisco

Wo ist die Stadt?

In »Krieg der Zeichen – Spurenlesen im urbanen Raum« verfolgt Markus Hanzer mitnichten die Spuren der Zeichen im öffent­li­chen Raum, sondern einen gesell­schafts- und medi­en­kri­ti­schen Diskurs, den man als »konsum­kri­ti­schen Mainstream« bezeichnen könnte. Die gefun­denen Zeichen entwi­ckeln kein System aus sich selbst, sondern werden in ein Wahrnehmungs- und Interpretationssystem einge­fügt, in dem die Erscheinung ledig­lich als Sprungbrett für einen Text dient, der dem eingangs gesetzten Bild von Krieg und Kampf unter­worfen ist. Die forma­li­sierte Konzeption in Doppelseiten führt zu erheb­li­chen inhalt­li­chen Redundanzen und Allgemeinplätzen.

Diese drei Faktoren – Degradierung der Zeichen zu Anlässen, forma­li­sierte Konzeption, sowie Unterwerfung der Betrachtung unter ein nega­tives Leitbild – führen dazu, dass der viele Text zu einer Bürde wird, die dem Betrachter des viel­schich­tigen und hervor­ra­gend ins Bild gesetzten Materials aufer­legt wird. In Anbetracht von Umfang und Geruch des Buches ist diese Last groß.

Auch sehnt man sich nach der Lebendigkeit, der Kreativität der Stadt, der posi­tiven Deutung der Stadt als Ort der Wahl, der Verwirklichung, der über­spru­delnden Kraft. Wo ist das Vibrieren New Yorks, das Fragmentarische Berlins, das Strahlende von Paris? Das Selbstbewusstsein Lissabons, das Morbide Barcelonas, die Langeweile LAs? Wo ist die Begegnung der Polis, die Befreiung der Republik? Wo ist die Verneigung vor guter Gestaltung, gran­dioser Inszenierung, hand­werk­li­cher Brillianz? Wo ist die Freude, die Lust am Leben, das Prickeln, das Abenteuer? Wo ist die Stadt?

Fotos: Friedrich Grögel

»Krieg der Zeichen: Spurenlesen im urbanen Raum« von Markus Hanzer, Verlag Hermann Schmidt Mainz, 2009; 288 reich bebil­derte Seiten, 39,80 Euro (FontShop-Link)


11. Tage der Typografie

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Vom 9. bis 11. Oktober werden unter dem dies­jäh­rigen Motto schön und wieder »Experten der Gegenwart und Zukunft« Gelegenheit zum Austausch, zur Weiterbildung und Umsetzung ihrer krea­tiven Ideen haben und neue Impulse für die Druck- und Medienbranche mitnehmen. Flankiert wird das Wochenende durch das Projekt Mediencommunity 2.0, das seine dies­jäh­rige Jahrestagung am 9. Oktober in den Räumen der Akademie durchführt.

Die Tage der Typografie sind ein jähr­lich statt­fin­dender Fachkongress, an dem rund 100 Experten aus unter­schied­li­chen Bereichen der Druck- und Medienbranche mit unter­schied­li­chem beruf­li­chem Hintergrund teil­nehmen. Die in Deutschland in dieser Form einma­lige Veranstaltung kombi­niert mehr­tä­gige Workshops und Fachvorträge, bei denen die Teilnehmer unter der Anleitung namhafter Typografen und Grafikdesigner ihren Horizont mit klarem Fokus auf die Praxis erweitern.

Auch im 11. Jahr ist es gelungen, Branchengrößen als Referenten zu gewinnen. Den Auftakt gestaltet Boris Kochan, Vorsitzender der Typografischen Gesellschaft München. Mit dabei sind auch Lars Harmsen (Slanted Magazin), Oliver Linke und Robert Strauch (Lazydogs), Ben Santo (Ben Santo visu­elle Kommunikation), Martin Schonhoff (die Transformer) sowie Tanja Huckenbeck und Peter Reichard (Typosition), die in Workshops unter­schied­liche Facetten der typo­gra­fi­schen Gestaltung beleuchten. Mehr Informationen und zur Anmeldung hier …