Fontblog Artikel im Januar 2007

Vorschussbetrug: 36 Fälle, wunderbar illustriert

Die Kripo nennt es Vorschussbetrug, in der Web-Gemeinde spricht man von der »Nigeria Connection«, der engli­sche Ausdruck dafür ist Scam (= Beschiss): In E-Mails behauptet der Absender, Kenntnisse von Konten ehema­liger Machthaber oder Großkonzerne in Entwicklungsländern zu besitzen und nun die Hilfe des Mailempfängers zu benö­tigen, um die Millionensummen ins Ausland zu trans­fe­rieren. Die dafür in Aussicht gestellten Provisionen im zwei­stel­ligen Prozentbereich locken die Opfer, im Vorfeld Gelder zu bezahlen. Die Betrüger gehen dabei sehr profes­sio­nell mit gefälschter Bankkorrespondenz und Zertifikaten vor. Vorschussbetrug per Briefpost ist schon seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Populär die Masche mit dem Aufkommen von Fax und Internet Mitte der 1980er Jahre.

Aus Wikipedia: »Obwohl die Geschichten, die in den Betrugsbriefen erzählt werden, fantas­tisch und völlig unglaub­würdig sind, fallen immer wieder einzelne Menschen und sogar staat­liche Stellen auf diese Masche herein. So zahlte die Stadt Ennigerloh 2001 einem Sozialhilfeempfänger 145.000 €. Er hatte den Bürgermeister durch einschlä­gige Dokumente von einem angeb­lich in Afrika fest­sit­zenden Vermögen von 34 Mio. € über­zeugt und verspro­chen, ein Vielfaches des Vorschusses an die Stadt zurück­zu­zahlen, sobald er an sein Geld gekommen sei. In der Folge dieser Vorkommnisse verlor der Bürgermeister sein Amt und musste sich wegen Veruntreuung öffent­li­cher Gelder vor Gericht verantworten.«

Der Berliner Illustrator Henning Wagenbreth (sehr anre­gende Webseite; Entwerfer von FF Prater … im Fontblog-Portrait) hat soeben ein Buch veröf­fent­licht, in dem er 36 solcher absurder Scam-Mails präsen­tiert und illus­triert. Es heißt »Cry for Help« (hier bei FontShop zu bestellen). Aus dem Klappentext: »Damit diese tragi­ko­mi­sche Episode der Cyberkriminalität nicht in Vergessenheit gerät, versam­melt ›Cry for help‹ 36 dieser kleinen bösen Meisterwerke.« Das BerlinDesignBlog weiß in diesem Zusammenhang von einer inter­es­santen Präsentation in Berlin: »Am Freitag, den 12. 01. 2007 findet ab 19:00 Uhr wieder eine Ausstellungseröffnung bei den Bildschönen Büchern (Kollwitzstraße 53) statt. Henning Wagenbreth zeigt alle Linolschnitte aus seinem neuen Buch ›Cry for Help‹ und andere Arbeiten.« Hingehen!


Fontblog per Widget lesen

Ralf Herrman hat eine Überraschung für Fontblog-Leser auf Lager, die am Mac arbeiten. Wer diese Seite nicht direkt besu­chen möchte oder keinen RSS-Reader verwendet, kann den Fontblog jetzt in einem Widget empfangen: schnell und elegant, ohne Abbildungen, was unter­wegs (teure Hotel-Einwahl oder Handy-Connection) von großem Vorteil sein kann. Auf dieser TypoWiki-Seite liegen das Fontblog-Widget und weitere Typo-Widgets zum Download bereit. Sofortiger Download …


Interaktive Font-Familien-Herstellung mit Superpolator

Jahrelange Entwicklung stecken in einer neuen Software, die erst­mals als Stand-alone-Programm (Macintosh Cocoa OS X) ange­boten wird: Superpolator 2. Bislang war das Schrift-Interpolations-Tool als Python-Bibliothek verfügbar.

Die Superpolation fasst ihr Entwickler Erik van Blokland in folgende Punkte zusammen:

• parti­elle Master: eines oder mehrere Zeichen defi­nieren, die anderen dazwi­schen »fliegen lassen«
• Animation: durch den Designraum schweben und die Schrift atmen sehen
• Multi-line-Vorschau: inter­ak­tive Auswahl von Zuständen
• multi­di­men­sio­nale Designräume
• Interpolation von Kerning und Font-Metriken
• Duzende von Master-Entwürfen und Hunderte von Zuständen managen
• nette Farben

Beispiele ansehen, über den Workflow, Beispiel, Preis: 250,– €


Grüße aus Dresden (2): Tablettenshop u. a.

Ich glaube, ich sehe nicht richtig … Sollte es in Dresden tatsäch­lich einen Wettbewerb bei Medikamenten geben? Wird das die Zukunft des freien Arzneimittelmarktes? Irgendwie komisch, wenn er von den Apotheken selbst insze­niert wird. Den »Tablettenshop« findet man als Filiale der Apotheke im Kugelhaus am Wiener Platz, gegen­über vom Hauptbahnhof. Es gibt viele Bestseller-Medikamente zum halben Preis. Und das sogar noch um 20:00 Uhr abends. Seltsames Experiment. Ich will auch so einen Pillenladen in Berlin.

Während einer Stadtrundfahrt im Doppeldeckerbus erblicke ich das Filmplakat von »Mein Führer«: Helge Schneider als Adolf Hitler. Wäre ein ähnli­cher Film in Deutschland vor 70 Jahren entstanden, würde das alte Dresden noch stehen … ach nee, so einfach ist das nicht.

Habe heute in der »Welt« gelesen, dass sich Schneider vom Film distan­ziert. So einfach geht das nicht, Helge. Nur weil Dir der Schnitt des fertigen Films miss­fällt, kannste jetzt nicht kneifen. Schon gar nicht, wenn Du die PR-Lawine rund um den Film für Deine eigenen Produkte (neues Buch, neue Platte und aktu­elle Tour) nutzt.

Dieses Foto widme ich Juli Gudehus; sie weiß warum. Das Herrentoupet erin­nert mich gleich wieder an Helge Schneider und Hitler (aufge­nommen in der Wilsdruffer Straße).

Eine kleine Sensation war der Besuch des frisch reno­vierten Hauptbahnhofs. Wir näherten uns dem Gebäude von der Seite (Wiener Platz) und stoßen als erstes auf die Ruine des ehema­ligen sepa­raten Eingangs für die säch­si­sche Königsfamilie, der später zum Kino umge­baut wurde. Bald soll er als neuer Eingang für die Reisenden des Zentralen Omnibus Bahnhof am west­li­chen Ende des Wiener Platzes dienen.

Der Dresdner Hauptbahnhof wurde als einer der letzten großen Deutschen Bahnhöfe von der Deutschen Bahn AG saniert (Architekt: Sir Norman Foster). Er bekam anstatt eines Glasdaches ein neues Membrandach, einem Material aus äußerst reiß­festen Gewebe (Teflon/Glasfaser). Die Farbe des trans­lu­zente Materials ist weiß. Es lässt je nach Sonnenintensität verschie­dene Farbtöne des Tageslichtes durch­scheinen oder reflek­tiert es auf der Außenseite. Direkt über den eisernen Hallenbögen spaltet sich das zelt­ar­tige Dach zu schmalen Schlitzen, die den direkten Blick zum Himmel freigeben.

Links und rechts von der Eingangshalle (Sandstein-Look) befinden sich die großen histo­ri­schen Warteräume (Backstein), die heute dem Reisezentrum sowie einem Supermarkt und einem groß­zü­gigen, zwei­stö­ckigen Bistro Platz bieten. Sie wurden, zusammen mit der Mittelhalle, im Juli 2006 eröffnet.

Ich bin sehr beein­druckt von der Mischung aus alt und neu.


Grüße aus Dresden (1): Ampelmädchen u. a.

Der Fontblogger macht Urlaub mit seiner Familie: 4 Tage Dresden. Habe schon am ersten Tag das ein oder andere Fontnäpfchen einge­fangen. Wusstet Ihr, dass es einen funk­tio­nie­renden poli­ti­sche korrekten Gegenentwurf des Ampelmännchen gibt? Ich habe es heute gesehen, das Ampelmädchen.

Sigrun Anderßen hat eine Boutique in der Bautzner Straße und ist Stolz darauf, die Regeln für den Gebrauch des ß beim Versalsatz zu brechen.

Damit nicht genug: Sie hat auch ein Symbol für die Mehrzahl von Prozent erfunden … Hier gibt es also Prozente.


iF: Designwettbewerbe im Vergleich

Heute hatte ich eine erhel­lende Lektüre in der Post, heraus­ge­geben vom iF (International Forum Design, Hannover). Das iF ist vor allem bekannt durch den seit 1954 jähr­lich ausge­rich­teten iF design award. Er zählt zu den bedeu­tendsten Designwettbewerben der Welt und verzeichnet in jedem Jahr mehr als 1.800 Anmeldungen aus 30 Ländern.

Wahrscheinlich weil jähr­lich neue Designwettbewerbe ins Leben gerufen werden, bemüht sich iF um Aufklärung. Das 40seitige Heftchen bietet eine 10-Punkte-Checkliste, mit der man Wettbewerbe auf den Zahn fühlen kann. Darüber hinaus setzt es die eigenen Kriterien detail­liert denen andere Wettbewerbe gegen­über, darunter die des Designcenter Stuttgart, Red Dot, Rat für Formgebung (war mehrere Wochen Thema im Fontblog), IDSA (USA) und vier weitere.

So erfährt man, dass die Kosten pro Einreichung zwischen 447,50 € (Red Dot Junior Award) und 3.607,– € (Rat für Formgebung) liegen können.

Ich nehme an, von der kosten­losen Broschüre stehen noch einige Exemplare zur Verfügung: iF, Messegelände, 30521 Hannover.